Neben einer sehr hohen grauen Mauer auf einem karg bewachsenen Grundstück, spielt ein Junge mit seinem neuen, orange leuchtenden Ball. Höher und höher wirft er ihn – bis der Ball über die Mauer fliegt. Zurückholen kann ihn der Junge nicht, das ist verboten, da sind die anderen. Wütend und traurig bleibt er im eigenen Garten und vermisst das Spielen. Doch: „Plötzlich fällt ihm der Ball in die Arme“. Denn auch auf der anderen Seite der Mauer ist jemand, der gerne spielen möchte, und so beginnt – trotz aller Hürden und Verbote – ein lebendiges, die Mauer überwindendes Match.
Die Dominanz der die Menschen voneinander trennenden Mauer zeigt sich markant in den Illustrationen: Der graue Koloss ist auf jeder Doppelseite zu sehen, mit einer symbolhaften Ausnahme: als der Ball von der anderen Seite zurückgeflogen kommt. Höhe und Farbe lassen an die neun Meter hohe Grenzmauer zwischen Westjordanland und Israel denken. Auf die symbolischen Farben des Friedens deuten die weiß und blau gemalten Vögel hin, eine blau-weiß gestreifte Spielstange sowie die blau-weiß gestreifte Hose des Jungen. Im Kern kann es aber auch jede hohe (schützende oder trennende) Grenze zu einem Nachbargrundstück sein.
Beide Jungen, einer mit dunklem, einer mit hellem Haar, jedoch ohne Namen und somit stellvertretend für viele Kinder, haben die Mauer mit krakeligen Zeichnungen bemalt. Ganz selbstverständlich setzen sie sich in ihrem Spiel über die Barriere hinweg, greifen am Ende zu Leiter und Seil, um zusammenzukommen.
Das Buch ist klar gestaltet: Mehrfach ist die komplette rechte Seite grau gehalten. In ihrer Mitte stehen oft zentral ein oder mehrere kurze Sätze. Die Farbgebung ist an die jeweilige Erzählperspektive angepasst: schwarz der überschauende Text, der die Handlung vorantreibt („Der Junge schreit die Mauer an“), blau bzw. gelb sind die Worte der beiden Jungen, orange die auffordernden Sätze des Balls („Wirf mich! … Hoch! … Höher!“), grau, wie die mächtige Barriere, die mahnenden Sätze der Mutter („Bleib weg von der Mauer!“).
Noemie Schneider und Katrin Stangel legen ein starkes Buch vor, im dem sie von Kindern erzählen, die im Spiel ganz selbstverständlich Mauern überwinden. Dabei hinterfragen die Autorinnen die Sinnhaftigkeit von Grenzen, die aufgrund von Misstrauen, Vorurteilen oder aus Angst gezogen werden – ein häufiges Motiv in der Kinder- und Jugendliteratur.
Die Betrachtung der zweiten Doppelseite – links: der Junge wirft den Ball, rechts: die Mauer –, bietet sich als Einstieg in das Buch an. Was könnte die graue Seite bedeuten? Anschließend können weitere textlose Illustrationen dazu anregen, Dialoge zu den Bildern zu erfinden (Was könnte der Ball zu dem Jungen sagen?). Zu Beginn und/oder am Ende sollte auf jeden Fall ein Ballspiel stehen: mit hochfliegenden Bällen – mit und ohne Grenzen.