Als die gelben Blätter fielen
Illustration: Inga Dagilé
Aus dem Litauischen von Saskia Drude
56 Seiten
ab 10 Jahren
€ 14,00

Sommer 1943: Alon sitzt mit Riwka auf dem Dach, lässt einen Drachen fliegen und wünscht sich, frei zu sein. Die Welt zu ihren Füßen begrenzt ein Tor: „Und wer fortging, der kam nicht mehr zurück.“ – Alons Glück mit Riwka endet abrupt, als ein großer schwarzer Vogels seinen „Beigel“ und ein hungriges Hündchen angreift und Alon es nicht wagt, ihn abzuwehren. – Sein Konzert am nächsten Tag empfindet Alon als „Kampf auf Leben und Tod“, sein Geigenbogen, den er als Schwert imaginiert, zerbricht. – Im Herbst geht nach Riwkas Familie auch Alon mit Mama und vielen anderen, von Männern in schwarzen Uniformen bewacht, „den Weg der gelben Blätter“: „Dann gab es einen Knall …“

Nachdem Alon etliche Winter hindurch „wie ein Stein“ geworden war, legt ihn in einem warmen Frühling eine Großmutter, vielleicht Riwka, „zu seiner Familie“ auf einen Grabstein und erzählt ihrer Enkelin die Geschichte ihrer jüdischen Gemeinschaft.

Bereits jüngere Kinder mit der Shoah zu konfrontieren, ohne sie zu überlasten, gelingt dem Autor auf meisterliche Weise. Gleich jedem Kind kann sein Ich-Erzähler Alon sich Umfeld und Geschehnisse noch kaum erklären, weiß aber genau zu beobachten: dass die überall sitzenden, kehlig-krächzend sprechenden, schwarz uniformierten Männer den plötzlich aufgetauchten schwarzen Vögeln ähneln oder was für leblos-fischige Augen die Leute haben, die die Besitztümer von Verschwundenen abholen. In kunstvoll einfachem, kindlichem Duktus benennt Alon auch Gefühle. „Pum, pum, pum“ nimmt er den Herzschlag der anderen wahr: den von Riwka, den von Mama und den aller anderen angesichts ihres Todes.

Alons Erzählen über den Tod hinaus mindert Schwere und vermittelt auch den Lesenden Trost. Die Gestaltung von Text auf scheinbar altem, liniertem Schreibpapier in variabler Schriftgröße und mit vereinzelt fett gedruckten Wörtern verstärkt den Eindruck kindlich-emotionaler Darbietung, ebenso die meist flächigen, teils collageartigen Zeichnungen von Interieurs und Figuren. Ausdrucksstarke Mimik und Haltungen, zusätzliche Details sowie eine eindrückliche Farbgestaltung vertiefen und erweitern das Erzählte: In Schwarz-Weiß-Grau und intensivem Gelb schafft die Illustratorin bedrohlich-bedrückende Atmosphären, mittels hellerer Hintergründe nebst zarten oder stärkeren Farbakzenten den durchaus versöhnlichen erzählerischen Rahmen.

In das Buch einfühlsam einführen ließe sich anhand der Vor- und Nachsatzpapiere: Anfangs zu sehen ist eine Gruppe farbig gestalteter, namentlich vorgestellter Kinder und Erwachsener, am Ende dieselben, nun farblos gezeichneten Menschen, und ganz zuletzt lediglich mit deren Namen versehene, an sie erinnernde Steine. Was erzählen bereits diese Seiten? Vermittler*innen sei zuvor das faktenbasierte Nachwort zum damaligen Ghetto in Vilnius empfohlen.