„Wann schläft der Mond?“, „Was ist die Welt?“ und „Wo ist es am schönsten auf der Welt?“ so lauten drei der Fragen, die das kleine Wüstenkamel dem großen stellt, weil es nicht schlafen kann. Das große Kamel gibt keine „phantastischen“ Antworten, wie es eine Gute-Nacht-Geschichte nahelegen würde, sondern antwortet ernsthaft-naturwissenschaftlich: „Sonne, Mond und Sterne schlafen überhaupt nicht. Sie sind Himmelskörper, die immer leuchten.“ Gleichzeitig vermittelt das große dem kleinen Kamel, wie dieses selbst in die großen Zusammenhänge des Universums passt, dass es einmalig ist und vor allem, dass es geliebt wird. Nun kann das kleine Kamel einschlafen ‒ vertrauensvoll an das große gekuschelt.
Der besondere Reiz dieses Bilderbuches liegt in seiner Ästhetik. Habinger erschafft mit ihren dunkelblau bis fast schwarz eingefärbten Doppelseiten eine dreidimensional wirkende, geheimnisvolle Welt, bevölkert von verschiedensten Wesen und Dingen. Mal scheinen Sterne, Menschen, Tiere, Pflanzen oder Gegenstände transparent durch andere hindurch, mal erkennt man erst auf den zweiten Blick ihre schemenhaften Umrisse: gedruckt, gekratzt, gezeichnet …
Aufklärerisch beleuchtet wird das scheinbar Undurchschaubare durch die klare, helle Schrift. So hebt sich der Dialog von den detailreichen Collagen ab, wobei die „großen“ Fragen des kleinen Kamels symbolisch deutlich „größer“ gesetzt sind als die (nie fertigen) Antworten. Textbezogen werden immer wieder einzelne Bildelemente durch kräftige, beinahe fluoreszierende Farben hervorgehoben. Manchmal stehen die Dinge Kopf, wie z. B. ein Rentier im Norden, das jedoch über abstrakte Landschaften mit dem kleinen Kamel im Süden verbunden ist. So wohnt dem vermeintlichen Chaos letztlich eine nachvollziehbare Ordnung inne, jeder und jedes hat seine Daseinsberechtigung und seinen Sinn. Durch Motivkombinationen und Farbgebung wird die laute Welt auch gestalterisch still, es kehrt Ruhe ein … wie beim kleinen Kamel. Ein Bilderbuch, das zur Entdeckung der Welt aufruft, zum Träumen inspiriert und Stoff für mindestens 1001 Nacht birgt.
(Der Rote Elefant 31, 2013)