Die 12-jährige Charlotte und der 11-jährige Ben kennen einander nicht: Charlotte lebt bei Philadelphia, Ben in Laneston/Louisiana. In Kontakt kommen beide über ein Internet-Scrabble, wobei Charlotte stets Platz 1 und Ben Platz 2 belegt. Überhaupt surfen Charlotte und Ben häufig im Netz, bietet sich dadurch doch eine Möglichkeit, Realitäten zu verdrängen, die sie stark verunsichern: Bens Eltern trennen sich, Charlottes Vater erlitt einen Herzinfarkt. Auch mit Beziehungen zu Gleichaltrigen tun sich beide schwer. Aus sicherer Entfernung – in Telefonaten – überspielen die beiden ihre Unsicherheiten: Charlotte klagt über eine viel zu anhängliche Freundin, Ben berichtet aufgrund seiner professionellen Vorbereitung siegesgewiss von seiner Wahl zum Schulsprecher. Tatsächlich wird die wissenschaftlich ambitionierte Charlotte von ihrer besten Freundin verraten und der umweltaffine Ben wegen seiner Kandidatur fürs Schülerparlament von Mitschülern gemobbt. Letztlich gehen Charlotte & Ben aus der Krise gestärkt hervor, vor allem, weil sie ihre Introvertiertheit überwinden und sich „analogen“ Freundschaften gegenüber öffnen. Für beide gilt, was Bens Vater von Lyriker Robert Frost zitiert: „Es geht weiter“.
Die Autorin (2019 DJLP für „Vier Wünsche ans Universum“) versteht ihr Handwerk. Die Konstruktion der Geschichte – wechselweise Szenen aus Charlottes und Bens Leben – verzögert die Handlung und sorgt für äußere und innere Spannung. Personal erzählt, werden den ziemlich klugen Außenseitern vielfach introspektive Sätze zugeschrieben, die von Selbstzweifeln künden und die Empathie der Leser*innen ansprechen. Ergänzend sind Widersprüche zwischen Wunschvorstellungen und Realität zu deuten, wozu intertextuelle Verweise beitragen: Charlottes „Nachrichten aus dem Kaninchenbau“ (Zitate aus Internet-Recherchen); Bens Gefühl, ein „Evolutions-Gewinner“ wie die „Darwin-Finken von den Galapagos-Inseln“ zu sein – bis zum Wahldesaster.
Darüber hinaus bietet das Buch in der Draufsicht – mehr für die Leser*innen als für Hauptfiguren – ein kritisches Bild vom US-amerikanischen Highschool- Milieu. Konform zum gesellschaftlichen Umfeld ist dies geprägt von einem System der Konkurrenz, des Rankings und der Kontrolle. Wer nie fehlt – wie Ben – erhält am Schuljahresende eine „Auszeichnung für vorbildlichen Schulbesuch“. Die Anwesenheitsliste führt ein Mitschüler. Lesestellen zu den Widersprüchen im Selbstbild der Protagonisten böten sich für einen Einstieg in eine Buchvorstellung ebenso an wie Vergleiche zwischen US-amerikanischem und deutschem Schulsystem.
(Der Rote Elefant 38, 2020)