An der Londoner „Liverpool Street Station“ kommen die Züge vom europäischen Festland an. Dort endeten 1939 auch die Züge mit jüdischen Kindern aus Deutschland, deren Eltern es gelang, diese ins rettende Ausland zu schicken. Die 10-jährige Franziska aus Berlin-Neukölln hatte dieses „Glück“. Das Cover zeigt das Foto eines Mädchens, wartend auf einer Bahnhofsbank. Die erwarteten Gasteltern jedoch erscheinen nicht. Ziska kommt in ein Übergangsheim. Doch das ist nur der Anfang eines unvorstellbar bitteren Weges, den dieses Kind gehen muss. Der Roman umfasst drei Teile und einen Epilog: Survival Plan (1938/39); Verdunkelung (1939/40); Heimkehr (1941-45). Dessen Hauptfigur Franziska entstammt einer Familie, die bereits im 19. Jh. zum Protestantismus übertrat. Seit sie von einem Tag zum anderen als Jüdin ausgegrenzt, bedroht und verfolgt wird, versteht Ziska die Welt nicht mehr. Aber sie begreift schnell und reagiert. Mit ihrer Freundin Rebekka übt sie halsbrecherische Fluchtwege oder wehrt sich handgreiflich, wenn keine Flucht mehr möglich ist. Mit einem der letzten Kindertransporte gelangt sie als Tochter einer wohlhabenden Rechtsanwaltsfamilie ins Ausland, Bekka kann das nicht. Bei einer jüdischen Familie, die sich Ziska selbst vor dem Heim auswählt, fühlt sie sich geborgen und geliebt. Und sie erfährt, was „Jüdisch sein“ im positiven Sinne bedeutet. Doch bereits zu Kriegsbeginn wird sie sofort aus London evakuiert und muss sich in wieder fremder Umgebung – jetzt als Deutsche – gegen englische Kinder verteidigen. Der Sohn ihrer Wahleltern stirbt auf einem englischen Kriegsschiff, von der eigenen Familie, die ins holländische Exil flüchten konnte, findet sie nur die Mutter wieder. Diese jedoch ist ihr völlig fremd. Rebekka kam in einem Konzentrationslager ums Leben.
Die Gedenkfeier für die ermordeten Freunde und Familienangehörigen auf hoher See im Rahmen des Epilogs versinnbildlicht die Erkenntnis der Allgegenwärtigkeit des Krieges, der Verfolgung und des Gefühls von Schuld ein Leben lang. Trotzdem ist dies kein deprimierendes Buch. Den Roman kennzeichnet ein überzeugendes Ineinandergreifen historischer Ereignisse und persönlicher Verarbeitung. Dabei wird die englische Perspektive auf den Krieg in vielen Situationen und realistischen Details kenntnisreich vermittelt. Gebunden an Franziskas glaubwürdig „mitwachsende“ Perspektive bringt es dem Leser einen Menschen nahe, der neugierig, mutig und kämpferisch ist, der seine Umwelt und sich selbst genau beobachtet und der auch unter den verstörendsten Erfahrungen eigene Entscheidungen trifft.
(Der Rote Elefant 25, 2007)