Nach „Der 35. Mai“, der 2008 als „Beste deutschsprachige Comic-Publikationen für Kinder und Jugendliche“ den Max-und-Moritz-Preis erhielt, schuf Isabel Kreitz eine zweite „Grafic Novel“ nach Erich Kästner und Walter Trier.
„Pünktchen und Anton“ erzählt humorvoll von enger Freundschaft zwischen einem Mädchen aus großbürgerlichem Hause und einem Jungen aus ärmlichen Verhältnissen. Ein Kriminalfall bildet den Deus ex machina, durch den sogar die Familien der Kinder zusammenfinden und damit soziale Schranken überbrückt werden. Trotz idealistischer Züge wirkt die Geschichte aus den 1920er Jahren immer noch aktuell. Kreitz ‚verpflanzt‘ die aktuellen Bezüge (im Gegensatz zu modischen Verfilmungen Kästnerscher Bücher) nicht einfach ins Heute, sondern bleibt konsequent in der Historie. Trotz großer Nähe zum Originaltext und Triers Illustrationen schafft Kreitz mit ihrer Hommage an die Vorbilder ein dennoch eigenständiges Werk. Kästner zitierend, übernimmt sie z. B. Figurenreden und heute ungebräuchliche Begriffe und Redewendungen – oft wortgetreu. Comictypisch setzt sie diese Texte in Sprechblasen, die wiederum durch ihre verschiedenen Formen (rund, gezackt) und Anordnungen (Figuren nah, mehrfach überschneidend) in Zeichensprache gleichsam miterzählen. Die ins Original eingestreuten (pädagogisierenden) „Nachdenkereien“ lässt Kreitz` außen vor; Kästners Schreibimpuls hingegen – eine Zeitungsnotiz – nutzt Kreitz ebenfalls als Einstieg. Von Trier bezog Kreitz reichlich Inspiration. Das verrät schon der Umschlag. Triers Figuren und deren ‚altertümliches‘ Umfeld sind wiederzuerkennen, erstere jedoch in viel lebendigerer Pose. Überhaupt formte Kreitz die schwarz-weißen, mehr flächig denn räumlich wirkenden Zeichnungen des Vorgängers in farbige und fortlaufende FILM-Bilder um. Anstelle von Kapiteln gibt es Schnitte; Sequenzen präsentieren sich aus verschiedenen Perspektiven; differenzierte Farbgestaltungen, Spiel mit Licht und Schatten, wechselnde Mimik und Körperhaltungen des Personals führen diesen „Film“ vor Augen.
Vorausgesetzt, der Inhalt der Sprechblasen wäre getilgt, würde es Spaß machen, sich den Film-Text auf einzelnen Seiten oder gar den gesamten Comic hindurch selbst zu erschließen. Auch könnte man den Originaltext eines Kapitels als Material zum Füllen der Sprechblasen anbieten, sozusagen als „Schule des Lesens und Schule des Sehens“. Spaß sowohl für Kenner als auch Nichtkenner von Kästners „Pünktchen und Anton“!
(Der Rote Elefant 28, 2010)