Es ist die Geschichte einer Flucht zweier jüdischer Kinder, des 10-jährigen Joseph und seines Bruders Maurice, einer Flucht vor Verfolgung nach der deutschen Besetzung Frankreichs 1941. Die Familie ist eigentlich russischer Herkunft und musste bereits wegen antijüdischer Pogrome aus der Heimat fliehen. Nun lebt sie in Paris. Der Vater hat einen Friseursalon, Religion spielt keine Rolle. Als die Kinder trotzdem einen Judenstern tragen müssen und deshalb auf dem Schulhof angegriffen werden, fragen sie: „Was ist ein Jude?“ Die Familie will, dass sich Joseph und Maurice allein in den unbesetzten Teil Frankreichs durchschlagen. Dabei müssen sie viele Gefahren überstehen, darunter auch ein Verhör durch deutsche Soldaten, denen sie aber glaubhaft machen können, katholisch zu sein. Immer wieder erreichen sie Kriegsnachrichten: der Kampf um Stalingrad, die Landung der Alliierten in Nordafrika. Auch von Kollaborateuren des Vichy-Regimes werden Joseph und Maurice bedroht. Am Ende des Krieges befinden sie sich in Meuton an der Côte d’Azur und kehren von dort aus nach Paris zurück. Aber der Vater ist nicht da.
Die Story geht auf die wahre Geschichte von Joseph Joffe zurück, die als Erzählung bereits in den 1970-er Jahren in Frankreich zum Bestseller und zweimal verfilmt wurde. Auch den Brüdern Bailly gelingt es, eine Teilgeschichte aus dem Zweiten Weltkrieg inhaltlich und künstlerisch überzeugend zu vermitteln. Die Gefahr, in welche die Kinder immer wieder geraten, ist stets präsent, aber es überwiegt die Schilderung ihres Mutes und ihres Einfallsreichtums, so dass sich beide immer wieder aus Gefahrsituationen retten können. Im Gegensatz zu Joffes realem Vater, der auf einem Auschwitz-Transport starb, wird der Vater in Baillys Erzählfassung nur festgenommen.
Die Bilder der Heimkehr nach Paris kommen ohne Worte aus, sodass den Betrachter*innen überlassen wird, die Gefühle der Figuren zu interpretieren. Die sehr lebhaft und temperamentvoll gezeichnete Graphic Novel nutzt alle Möglichkeiten des Comics (Perspektivwechsel, Nahaufnahmen, Panoramen, Formatänderungen), um Spannung aufzubauen und Nähe zum Geschehen herzustellen.
Die Bildfolge ist filmisch-dynamisch und die mal kräftige, mal grau-gedämpfte Farbgebung innerhalb der Aquarelle visualisiert Tempo und Intensität der Handlung. So entsteht eine atmosphärisch dichte Milieuzeichnung französischer Städte und Landschaften und eine emotional an das Geschehen bindende Erzählweise.
(Der Rote Elefant 40, 2022)