Im Leben von Cole gerät so manches durcheinander. Gerade hat seine Mutter ihren Job als Assistentin im örtlichen Museum verloren und sein Vater sucht erfolglos nach einer Arbeit, um die ohnehin in ärmlichen Verhältnissen lebende Familie über Wasser zu halten. Da besucht Englands berühmteste Künstlerin Marika Loft Coles Schule. Die geschäftstüchtige Diva entdeckt in Cole ein riesiges Talent und verkauft ein unter ihrer Aufsicht entstandenes Kunstwerk aus dem Stand für 1000 Pfund. Eine riesige Summe für Coles Familie. Ein zweites Bild muss her, das sich vielleicht noch teurer verkaufen lässt. Das öffentliche Interesse an Cole steigt, doch die damit verbundenen hohen Erwartungen kann der 12-Jährige nicht erfüllen; und so kommt es zu einer folgenreichen Lüge.
Geschickt verknüpft Lisa Thompson in ihrem Kinderbuch die täglichen Herausforderungen von Kindern, die in prekären Verhältnissen aufwachsen mit einer Satire auf den Kunstbetrieb. Der muntere, fast naive Erzählton, mit dem Ich-Erzähler Cole den zunehmend absurden Fortgang der Geschehnisse schildert, gibt Leser*innen die Möglichkeit, den Ereignissen immer einen Schritt voraus zu sein. Während Cole bemüht ist, die Schieflagen in seinem Leben mit dem neuen Wohlstand zu beheben und gleichzeitig ein neues Bild malen muss, sehen Leser*innen die Katastrophe unaufhaltsam nahen. Auf diese Weise gelingt es der Autorin, Fragen aufzuwerfen, die den Kunstbetrieb und Mechanismen medialer Hypes betreffen, wobei es ihr nicht vorrangig um die Darstellung der Ursachen geht. Vielmehr bleibt ihr Blick bei den Auswirkungen für Cole und seine Familie. Zugunsten satirischer Elemente stattet Thompson ihre Erzählung in weiten Teilen mit einem Ensemble einfacher Figuren aus. Vielleser*innen kennen solche Darstellungsstrategien aus Serien wie z. B. „Gregs Tagebuch“. Thompsons Erzählung unterscheidet sich jedoch von dieser Art „Pannen“-Geschichten, indem sie Cole in ein realistisches, detailreich geschildertes Familienumfeld setzt. Coles Handlungen leiten sich somit aus der Spannung zwischen der Liebe zu Eltern und kleiner Schwester und der Scham vor der Armut ab, so dass gewitzte Leser*innen die Freude am Buch aus dem Kontrast von satirisch überzogenen Elementen und warmherziger Familiengeschichte ziehen werden.
Als Einstieg könnte eine Reihe moderner Gemälde gezeigt werden. Gibt es Ähnlichkeiten zu dem von Cole auf dem Cover präsentierten (ent- oder verhüllten) Bild? Darauf aufbauend: Wann wird ein Bild zum Kunstwerk und was ist Kunst eigentlich wert?
(Der Rote Elefant 40, 2022)