Toffee
Wie Glücklichsein von außen aussieht
351 Seiten
ab 13 Jahren
€ 19,00

Marla, alt und dement, lebt in einem Haus in Cornwall; Allison, 15, geflohen vor einem gewalttätigen Vater, findet dort Obdach. Marla nennt Allison „Toffee“. Warum, klärt ein Foto. Darauf hat ein Mädchen – wie Allison – ein versehrtes Gesicht. Ob Muttermal oder Zeugnis einer Gewalttat bleibt offen, aber Allison scheint, als „flehe“ diese Toffee, dass „jemand, irgendwer“ sie ansähe. Allison sieht Toffee an und sieht Marlas Verzweiflung, Lebensfetzen nicht mehr bündeln zu können. Deshalb spielt Allison jede Person, die Marla in ihr sieht. In seltenen Momenten sieht Marla jedoch auch Allison selbst: „Wer hat das mit deinem Gesicht gemacht?“ Irgendwann kann Allison antworten: „Das war mein Dad“. Die Notgemeinschaft währt kurz. Marla muss in ein Heim. Allison findet die liebevolle Ex-Freundin des Vaters wieder, die von ihm schwanger ist. Sie beantragt eine Wohnung, geht wieder zur Schule und konfrontiert schließlich ihren Vater mit dem Schaden, den er angerichtet hat. „Am Ende ist er wie immer, wütend. Ich aber nicht.“

Wieder setzt Crossan ihre Figuren (vgl. „Die Sprache des Wassers“, „Eins“, „Apple und Rain“) Extremsituationen aus, um generationsübergreifend Räume für Ich-Findung, Selbstreflexion und respektvolles Miteinander auszuloten. In „Toffee“ sind dafür „Sehen“ und das Bedürfnis „Gesehen zu werden“ zentrale Motive. Die Hellsichtigkeit der Ich-Erzählerin, die darin geübt ist, die Aggressionen des Vaters, der den Tod der Mutter nach Allisons Geburt nie verkraftete, schon vor Ausbruch zu sehen, bedingt die empathische Beziehung zu Marla. Allmählich formen sich aus Situations- und Gedankensplittern nebst wortkargen Dialogen komplexe Persönlichkeiten, wobei das Gegenüberstellen von Gegenwart und Vergangenheit Leser*innen sehender machen wird. So folgt z. B. dem Gegenwartskapitel „Suchen“ das Vergangenheitskapitel „Wo ist die Fernbedienung?“. In ersterem sucht Marla ihren Kugelschreiber und stellt eine offene Frage ohne Verdächtigungen. Im Vergangenheitskapitel dagegen stellten die Fragen des Vaters stets Such-Befehle und Schuldzuweisungen dar. Dass negative Erfahrungen positiv wirken können, vermittelt Crossan entsprechend der Komplexität dieser Dialektik gewohnt sperrig: Kurzkapitel voller verdichteter Sätze und abrupter Enden, wobei diese Prosa, im Layout lyrikähnlich gesetzt, assoziatives Lesen geradezu herausfordert, auch für Leseungeübte.

In diesem Sinne wären als Einstieg Kapitel-Überschriften geeignet (Versteckspiel, Spurensuche, Narben u. a.), die doppeldeutig auf „Sehen“ anspielen. Was ist aus den dazugehörigen Texten über die Ich-Erzählerin in Bezug auf ihren Namen (s. Buchtitel), ihre Situation und andere Figuren zu erfahren?