Dass ein 100-Jähriger ein Kinderbuch schreibt, ist selten. Aaaron Edward Hotchner hat es getan. Der US-amerikanische Autor von Romanen, Drehbüchern, Biografien (u. a. über seinen Freund Hemingway) starb 2020 mit 102 Jahren. Mit der Geschichte um den 12-jährigen Aaron, Enkel polnischer Einwanderer, geht er zurück in die eigene Kindheit in St. Louis während der Großen Depression. Genauer ins Jahr 1933: Franklin D. Roosevelt ist gerade Präsident geworden, hat die Prohibition aufgehoben und Sozialgesetze durch den Kongress gebracht. Wie damals Hotchner ist Aaron ein begeisterter Leser (Poe, Twain, Dickens, Doyle) und will Schriftsteller werden. „Sherlock Holmes“ hilft ihm bei seiner Detektivarbeit, denn: Aarons Vater sitzt im Gefängnis, in das er als Hauptzeuge eines Überfalls auf einen Juwelier geraten ist, bei dem ein Mensch zu Tode kam. Um den Vater zu rehabilitieren, muss Aaron die wahren Täter entlarven und vor Gericht bringen. Bei seinen Recherchen trifft er auf hilfreiche Kinder und Erwachsene, darunter ein Ex-Boxer, der Zeitungsjunge Augie und ein sozial engagierter Anwalt. Er lernt die Slums von East-St.-Louis am anderen Mississippi-Ufer kennen und gerät mehrfach in brenzlige Situationen. Der starke Wille durchzuhalten, um die Tätersuche zum Erfolg zu führen, dabei aber ehrlich zu bleiben, lässt Aaron nicht aufgeben. Dazu gehört auch, Augie die Unterschlagung einer gefüllten Brieftasche auszureden. Letztlich siegt das Gute und es springt sogar eine Belohnung durch den Bürgermeister heraus. Auch könnte Aarons Vater, vor dem Knast ein erfolgloser Uhrenvertreter, in einem der neuen Arbeitsbeschaffungsprogramme unterkommen.
Die positive Grundhaltung des Textes („Offenbar gibt es auch nette Menschen. Man muss sie nur finden“), Spannungsbogen, Happy End und Erzählton erinnern an „Tom Sawyer“ oder „Emil und die Detektive“, aber die gestaltete Realität wirkt deutlich rauer. Atmosphärisch und sprachlich überzeugt in der einfühlsam übersetzten Ich-Erzählung – samt Versuchen, den Slang schwarzer Freunde Aarons nachzuahmen – besonders die Schilderung sozialer Situationen in der amerikanischen Großstadt, so dass sich ein Sittenbild der Verhältnisse in der Weltwirtschaftskrise vermittelt. Köhlers realistische Bleistiftzeichnungen greifen letzteres auf. Bereits Vor- und Nachsatz zeigen einen markanten Gegensatz zwischen Werbung und Realität.
Zwei Illustrationen des Helden (Cover, Titelinnenblatt) böten sich in ihrer Gegensätzlichkeit (Körperhaltung, Blick) zur Annäherung an dessen Persönlichkeit an, um auf diese neugierig zu machen.
(Der Rote Elefant 40, 2022)