Alles Familie? Das gabs doch schon mal, und vor noch gar nicht so langer Zeit.
Vergleicht man das 1997 erschienene (mittlerweile vergriffene und antiquarisch sehr teure) Bilderbuch von Birgit Schössow und Knut Hamann mit vorliegendem Band, scheint sich schön viel getan zu haben in Sachen Familie. Und dies nicht nur inhaltlich, sondern auch in der Art und Weise, wie man dieses so sensible und so viel Konfliktstoff beinhaltende (Experimentier)Feld aus verschiedenen Perspektiven interessant, tiefsinnig und zugleich ausgesprochen humorvoll vorstellen kann. Familie wird sachlich und wertfrei als historisch gewachsenes, sich ständig veränderndes, offenes System betrachtet. Das Spektrum reicht von der klassischen Vater-Mutter-Kind-Familie über die Patchworkfamilie, weibliche und männliche Alleinerziehende mit Kindern bis hin zu „Regenbogen-“ und Adoptivfamilien.
Die vielfältigen Formen familiären Zusammenlebens werden in kurzen Bild-Text-Passagen anregend problematisiert bzw. diskursiv offen gehalten. Auch Gewalt, Vernachlässigung und Lieblosigkeit sind nicht ausgespart. Ein überschauender Erzähler nimmt wechselnde Stand-punkte ein, ist aber in der Haltung stets nah am Empfinden der jeweils betroffenen Kinder. Überdies bietet das Buch weiterführende Exkurse, z. B. über Stiefeltern (in Schweden heißen diese tatsächlich Plastikmama oder Plastikpapa) oder den Begriff der „Blutsbrüderschaft“ . Wem fielen da nicht so berühmte literarische Helden wie Tom Sawyer/Huck Finn oder Winnetou/Old Shatterhand ein? Text und Bild ergänzen sich wechselseitig, mal überwiegt der Textanteil, mal reichen kurze Kommentare zu den comichaft-karikierenden Bildern. Alle Beispiele bieten optimale Anregungen für eine intensive Auseinandersetzung, für die konkrete pädagogische Arbeit ein richtiger Schatz. Bestimmte Seiten könnten 1:1 als Unter-richtsvorlagen verwendet werden. Da das Buch aber auch weitgehend selbsterklärend wirkt, gehört es in jede Familie. Ein kleiner roter Faden zieht sich durch: es tauchen immer wieder schon bekannte Personen auf, die in neue Familienbezüge gestellt werden. Fazit des völlig unangestrengten Buches: Familie ist dort, wo man sich gut riechen kann. Ein unbedingt empfehlenswertes Buch, das man am Ende mit Angaben zur eigenen Familie ergänzen kann. (Nominiert in der Sparte Sachbuchliste zum DJLP 2011.)
(Der Rote Elefant 29, 2011)