Karim, ausgestattet mit Schleuder und Steinen, bereit zum Straßenkampf für die Freiheit seines palästinensischen Volkes, gerät im heutigen Ramallah bei einer Demonstration in Schwierigkeiten. Anat, eine junge israelische Soldatin, wird von ihrer Einheit bei einem Einsatz in der kargen Gegend rund um Ramallah zurückgelassen und muss allein ihren Weg nach Hause schaffen. Tessa, Holocaust-Überlebende und nach dem Weltkrieg „displaced person“ im befreiten Konzentrationslager Bergen-Belsen, reist 1948 mit Hilfe der zionistischen paramilitärischen Untergrundorganisation Hagana nach Israel, wo sie ihren Vater wiedertrifft, der in der jüdischen Untergrundorganisation Irgun aktiv ist. Schließlich Mo, dessen Vater 1946 beim Anschlag auf das King David Hotel in Jerusalem ums Leben kam. Vier junge Menschen kämpfen um eine sichere Heimat in einem damals wie heute politisch zerrütteten Gebiet. Doch trotz aller Feindschaften zwischen Juden und Arabern entstehen Freundschaften, zwischen Karim und Anat, Mo und Tessa. Das Dach eines Hauses in der Altstadt von Jerusalem/Yerushalayim/Al-Quds wird zum Ort, an dem sich die Schicksale der Vier verbinden. Dort werden zarte Bande geknüpft, in der Hoffnung auf Frieden unter den Familien und Völkern.
Die Journalistin Anja Reumschüssel legt nach ihren Sachbüchern zu Themen wie Extremismus (DJLP 2019, Sparte Sachbuch) und Demokratie für Einsteiger ihren ersten Jugendroman vor. Umfangreich hat sie in Israel und im Westjordanland recherchiert und nähert sich ihrem Stoff kenntnisreich auf zwei zeitlichen Ebenen. Eingerahmt von der in der Gegenwart angesiedelten Geschichte erzählt Reumschüssel von den historischen Ereignissen zwischen Sommer 1946 und dem 23. Mai 1948 – vom Sprengstoffanschlag auf das King David Hotel bis zur Staatengründung Israels. Die abwechselnd Mo und Tessa zugeordneten Kapitel sind tagebuchähnlich überschrieben mit wichtigen historischen Daten. Der seitenmäßig umfangreichere Teil des Buches widmet sich der heutigen Zeit. Auch hier wird abwechselnd personal erzählt, jeweils an die Figuren Anat oder Karim gebunden. Den vier Protagonist*innen gibt die Autorin einen jeweils eigenen Erzählton und bietet so, literarisch geschickt verknüpft, verschiedene Perspektiven auf den Konflikt über die politische, geografische und soziale Aufteilung des Heiligen Landes an. Spannungsreich in Romanform gebracht (in der wörtlichen Rede manchmal etwas zu gewollt erklärend) trägt die Autorin dabei Informationen zusammen, zum Beispiel über die komplizierte Historie Israels, den Holocaust oder den Einfluss der Briten auf die Staatenteilung des ehemaligen Mandatsgebiets Palästina.
Anhand von einzelnen arabischen und hebräischen Wörtern (übersetzt im Text oder im Glossar) sowie der Darstellung von Bräuchen vermittelt die Autorin auch jüdisch-israelische und arabische Kulturgeschichte. Die Lesenden sind herausgefordert, sich mit jeder der vier Perspektiven auseinanderzusetzen und dabei eine differenzierte Sicht auf Geschichte, Konflikte und die Menschen in Israel/Palästina zu entwickeln.
Inwieweit eigene soziale oder religiöse Zugehörigkeit die Haltungsfindung beeinflussen, wäre in Diskussionen mit Jugendlichen zu ergründen. Angesichts des im Oktober 2023 durch die Hamas eskalierten Nahost-Konflikts – das Buch erschien zuvor – gilt es, sich umso dringlicher auch mit den Auswirkungen auf das Zusammenleben in Deutschland auseinanderzusetzen und dabei die Hoffnung auf Frieden zu bewahren.