Als im Dezember 1865 der 13. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten in Kraft trat, fand der jahrzehntelange Kampf gegen Sklaverei sein Ende. Auch für die etwa 45-jährige Harriet Tubman endete damit der ruheloseste Abschnitt ihres Lebens. Über fünfzehn Jahre hatte sie mehr als 300 Sklaven in die Freiheit gebracht, mit der sogenannten „Underground Railroad“ – einer „lose organisierten Gruppe von Menschen, die Flüchtigen, die sich auf den langen Weg nach Norden und in die Freiheit machten, ein Dach über dem Kopf und Verpflegung boten.“ Kilometerlange Märsche zwischen Maryland und Pennsylvania, später bis nach Kanada, lagen hinter Harriet, wenn es ihr wieder gelungen war, Menschen aus der Sklaverei zu führen. Der Roman erzählt in einer Mischung aus Episoden und Berichten, wie sich die 1820 geborene Sklavin zu einer Kämpferin gegen Unrecht entwickelte.
Die Autorin Ann Petry, selbst Afroamerikanerin, stützte sich auf Briefe, Notizbücher, Passierscheine und Zeitungsartikel. Auch nutzte sie Biografien der Tubman-Bewunderin Susan Bradford, die Geld für Harriet sammelte. Harriet Tubman selbst war Analphabetin, jedoch eine anschauliche Erzählerin. Zeitgenossen schwärmten davon, wie deutlich vorstellbar sie ihre Erlebnisse in Vorträgen und Privatgesprächen präsentierte. Davon lebt auch Petrys Text, der z. B. einfühlsam beschreibt, auf welche Weise Harriet ihre Wahrnehmung schärfte, um Schritte, Stimmen und Laute von Mensch und Tier erkennen und nachahmen zu können. Jedes Kapitel wurde zur historischen Einordnung um Fakten ergänzt, die gesellschaftliches Klima und politisches Geschehen jener Zeit erhellen. Ein Glossar erläutert fremde Begriffe. Das Buchcover wirbt mit einem Zitat des afroamerikanischen Jugendbuchautors Jason Reynolds, der Petrys Roman von 1955 als historischen Schatz für junge Leser würdigt. Entnommen wurde es Reynolds` Vorwort zu einer USA-Neuausgabe von „Harriet Tubman“ von 2018. Warum nutzte der Verlag nicht diese letzte Fassung samt Reynolds Vorwort, sondern laut Impressum Editionen von 1955, 1983 und 2006?
Als Einstieg könnte ergänzend das illustrierte Kinderbuch „Freiheit! Harriet Tubman, eine amerikanische Heldin“ (RE 39) herangezogen werden, um die hervorragenden Bilder zu nutzen und ausgewählte Episoden zu vergleichen. Auch wäre zu diskutieren, ob ein historischer Text, der Rassendiskriminierung und damit verbundene Terminologie kritisiert, nicht – wie hier – durch eine Übersetzung in politisch korrekte Begriffe aus dem Kontext gerissen und beschädigt wird? Last but not least: Vielleicht gelingt Präsident Biden, was Donald Trump verhinderte, und Harriet Tubmans Konterfei ziert endlich die Zwanzig-Dollar-Scheine. Sie wäre damit die erste Frau überhaupt auf einer Dollar-Note.
(Der Rote Elefant 40, 2022)