Haifischzähne
Illustration: Alexandra Helm
Aus dem Niederländischen von Andrea Kluitmann
96 Seiten
ab 10 Jahren
€ 7,99

Es beginnt mit dem Zusammenprall zweier Fahrräder. Das eine gehört der 11-jährigen Atlanta, das andere dem gleichaltrigen Finley. Beide sind abgehauen. Ich-Erzählerin Atlanta möchte mit einer eigentlich unmöglichen nächtlichen Umrundung des Ijsselmeers auf magische Weise das Schicksal der krebskranken Mutter beeinflussen, Finley nach einem Streit nicht mehr nach Hause zurück. Dabei leidet Atlanta nicht nur unter der großen Sorge um die Mutter, sondern auch an Gefühlen von Schuld. Finleys Annäherung an seine Mutter, mit der er in letzter Zeit viel Stress hatte, scheitert, und so verletzt ihn der Satz, sie habe „lieber kein Kind als eins wie ihn“, tief. Für beide ist die Radtour der Versuch, dem Gefühl von Hilflosigkeit zu entkommen und irgendwie zu handeln. Während der gemeinsamen Weiterfahrt gibt es Streit, aber auch Nähe und gegenseitiges Verstehen. Ein Säckchen mit Haifischzähnen, entdeckt im Gepäck zwischen Pflastern, Käsestullen und einer Zahnspange, veranlasst die Umkehr. Finley nahm die „Glücksbringer“ seiner Mutter aus Wut mit, obwohl sie diese für ihre Fahrprüfung dringend benötigte. Daraufhin entscheidet die magieaffine Atlanta, dass die Zähne unbedingt zu deren Besitzerin zurückmüssen! Die Reise endet nach eineinhalb Tagen – mit einer Abkürzung – wo sie begonnen hat. Aber sowohl in den Familien als auch in Atlanta und Finley hat sich einiges verändert. Dazu gehört u. a. für beide die Erkenntnis, dass man nicht alles in der Hand hat und nicht alles auf eigene Faust bewältigen kann.

Die niederländische Autorin Anna Woltz ist bekannt für fantasievolle, durchsetzungsfähige, aber auch gleichermaßen sensible Mädchenfiguren (RE 35 „Gips oder wie ich an einem einzigen Tag die Welt reparierte“, RE 38 „Sonntag, Montag, Sternentag“). In  „Haifischzähne“ stellt sie der impulsiven, energiegeladenen Atlanta den eher stoischen, humorvollen Finley zur Seite, sodass den Leser*innen zwei einprägsame, einander kontrastierende und ergänzend gestaltete Charaktere begegnen. Neben den überaus lebendigen Dialogen überzeugt der Roman mit einer bild- und assoziationsreichen Sprache, welche die Gefühle der Figuren gleichnishaft vermittelt. So etwa, wenn Atlanta über sich sagt: „Kennst du diese Leute, die eine Wespe nicht totschlagen, sondern ganz behutsam ein Glas über sie stülpen? Nun ja, letzten Winter fand ich mich plötzlich unter so einem Glas wieder. Ich konnte noch immer alles sehen und das meiste auch verstehen, aber ich gehörte nicht mehr dazu.“

(Der Rote Elefant 39, 2021)