„Erst mal solltest du wissen, wer ich bin. Ich heiße Nora, und ich bin Erfinderin …“ Die etwa 9-jährige Nora bewohnt auf dem Dachboden ein eigenes Zimmer. Hier lebt sie ihren Erfindergeist aus, sammelt, was sie braucht, um Ideen zu verwirklichen: Flügel für Hund Bruno, furchterregende Drachen gegen drei Nervensägen in Gestalt älterer Brüder und einen „Jungenpümpel“, mit dem sie Schafsköpfe wie den neuen Nachbarjungen Ben wegsaugen kann. Zu blöd, dass der nicht verrät, was in der schwarzen Kiste neben dem Umzugswagen war. Nicht blöd, dass beider Zimmer direkt nebeneinanderliegen, getrennt nur durch eine Luke, die kein anderer kennt. Aufregend! Aber warum hält Ben nachts ein Referat über Sterne? Heimlich inspiziert Nora sein Zimmer und staunt, was Ben alles über Sterne aufgeschrieben hat. Manches kapiert sie nicht. Plötzlich ist Ben da und schmeißt Nora wütend raus. Die will aber noch unbedingt wissen, was sie von den Sterne-Notizen nicht kapiert hat. Und Ben erzählt …
Da die wissbegierige Nora eine gute Zuhörerin ist, vertraut der scheue Junge ihr schließlich an, dass er vor der Klasse ein Referat halten soll und fürchtet, erneut zu scheitern: am knallroten Kopf, am zugeschnürten Hals, an feuchten Händen. Nora grübelt, wie Ben zu helfen sei und hat eine geniale Idee, die auch Ben gefällt. Das ganze Wochenende arbeiten beide daran. Nach Sonntag kommt Montag, der „Sternentag“: 30 Schüler*innen samt Lehrerin hören gebannt zu, ohne Ben zu sehen …
Der dialogreiche Text der niederländischen Autorin mutet wie mündliches Sprechen an, wozu auch die klugerweise nur selten eingesetzte Ansprache an die Lesenden beiträgt. Ergänzt wird dies durch die humorvollen Selbstbefragungen der Heldin. In allem zeigen sich originelles Denken, aber auch tiefgehende Gefühle samt Empathie, wobei letztere zu solidarischem Handeln mit Ben führt. Indem Nora sich unerschrocken, fragend, streitend und Hilfe suchend mit Familie, Nachbarn und Freunden auseinandersetzt, entdeckt sie, welche sozialen und emotionalen Kräfte in ihr stecken. Mit ihr gelingt Anna Woltz ein sprachlich überzeugendes Beispiel dafür, wie Literatur Kindern helfen kann, sich ihrer selbst bewusst zu werden und in diesem Prozess Mitgefühl und Verständnis für ihre Mitmenschen zu entwickeln.
Anknüpfend an Noras Idee für Ben – ohne diese zu verraten – könnte zum Einstieg in das Buch ein kopfgroßer Pappkarton mit Löchern dienen, wobei die Löcher die Form des Sternbilds „Großer Wagen“ bilden. Was könnte so ein Karton mit der Geschichte zu tun haben? Wie fühlen sich die Kinder, wenn sie den Karton über den Kopf stülpen?
(Der Rote Elefant 38, 2020)