Jedes Mal, wenn Schimpansenjunge Willi eine ganz bestimmte Tür durchschreitet, warten Abenteuer auf ihn. Einmal versteckt er sich in einem Fass an Bord eines Schatzsucherschiffes, ein anderes Mal will ihn ein Mönch namens Bruder Tuck über einen Fluss tragen. Dann wieder fällt Willi in und durch ein Kaninchenloch, erklimmt einen Turm an einem aus Haaren geflochtenen Seil oder bekommt Angst im Wilden Wald …
Anthony Brownes Bilderbuch ist eine Hommage – an das Lesen, die Phantasie, an das Buch, die Literatur, konkret: an Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur, an die Weltliteratur. Auf zehn berühmte Geschichten, von Defoe und Stevenson bis hin zu Grahame und Collodi wird in Bild und Text verwiesen. Das Buch ist klar strukturiert. Jeder Geschichte ist eine Doppelseite gewidmet. Die ganzseitigen, gerahmten Illustrationen zeigen Willi als handelnde, weil in die Geschichte eingetauchte Person. Er ist Robinson Crusoe, der auf eine Fußspur im Sand stößt, ist Peter Pan im Kampf gegen Käpt‘n Hook und ist Pinocchio, der versucht, dem riesigen Hai zu entkommen … Es sind spannungsvolle Momente, die Browne gekonnt ins Bild setzt. In seinen (teilweise etwas suggestiven) Texten lässt er Willi den abgebildeten Teil des jeweiligen Abenteuers auch selbst erzählen. Der Fortgang der Geschichten bleibt offen, nun sind Leser und Betrachter gefragt. Mit „Was, denkst du, geschah dann?“ oder „Wenn du an meiner Stelle gewesen wärst, was hättest du gemacht?“ werden sie eingeladen zum Nachdenken, Phantasieren und Weitererzählen. Dabei ist die Kenntnis der Originale nicht vonnöten. Sie sind im Laufe von Kindheit, Jugend und Erwachsensein erst noch zu entdecken, sprich: zu lesen!
Aber vielleicht wissen erwachsene Vor- oder Mitleser bereits mehr vom jeweiligen Geschehen?! Oder der gemeinsame Weg in die nächste Bibliothek wird eingeschlagen, um herauszufinden, wie es tatsächlich weitergeht.
Auf der letzten Seite trägt Willi einen großen Bücherstapel mit allen entsprechenden Buchtiteln. Und natürlich sind Bücher als Motiv Bestandteil jeder der ausdrucksstarken Illustrationen, bilden den Stamm einer Palme oder die Wände eines Hauses. Auch das Werkzeug, mit dem Geschichten aufgeschrieben und gezeichnet werden, ist in den Bildern zu entdecken, betrachtet man Robinsons Gewehrlauf oder Long John Silvers Krücke genauer. Bücher sind Türen in andere Welten. Anthony Browne lädt Leserinnen und Leser jeden Alters dazu ein, diese Türen zu öffnen.
(Der Rote Elefant 34, 2016)