Ein leerer Hauseingang. Jeden Morgen kommt der kleine Junge auf dem Schulweg daran vorbei. Und weiß: Kehrt er zurück, sitzt dort „ER“, der an „den König eines fernen Landes erinnert. Ein Land aus Sand und Wind …“ Der schwarz gekleidete Mann mit dunklem Vollbart und einer Kappe auf dem Haupt „sitzt still in der Ecke, abseits des Lebens, und beobachtet“. Und wird be(ob)achtet: vom kindlichen Ich-Erzähler, der weiß, dass auf der Straße lebende Menschen wenig zu essen haben, oder von der Frau aus Nr. 21, die Brot bringt und sich mit dem Mann unterhält. Am Anfang des Winters fragt sich der Junge, wo der Mann wohl schläft, am Ende des Winters bleibt der Hauseingang leer.
Der französische Künstler Barroux (Kako, der Schreckliche – DJLP-Nominierung 2016) erhielt für Ahmed bereits 2009 den „Prix des Incorruptibles“, vergeben von französischen Schülerinnen und Schülern. Das bemerkenswerte Bilderbuch setzt dem gleichnamigen Obdachlosen, der im Winter 2006 in Paris den Kältetod starb, ein Denkmal. Darüber hinaus ist es Mahnmal für Menschenwürde.
Behutsam erzählt Barroux vom Umgang mit denen, die fremd sind oder befremdlich erscheinen, ins gesellschaftliche Abseits geraten und wie Ahmed „sans abri“ (Originaltitel) ohne Schutz, ohne Obdach sind. Er erzählt von Armut und Einsamkeit, aber auch von Empathie, Güte und letztlich von Hoffnung. Sein Protagonist blickt ehrfürchtig und unvoreingenommen auf den riesig wirkenden Mann, den so viele Menschen offenbar übersehen, der ihm aber ein Vertrauter ist. In der Vorstellung des Jungen findet der Mann „seinen Platz“, wenn auch nicht in dieser Welt. Dessen Welt stellt er sich voller fremder Düfte, perlenbestickter Stoffe und schattiger Oasen vor. Formal setzt Barroux das Thema „Gegensätze“ durch verschiedene Gestaltungstechniken überzeugend um. Gegenläufig zu düster-trostlos wirkenden Alltagsszenen in Ocker-, Braun- und Grautönen bis hin zum Schwarz dominieren in den Phantasien des Jungen duftiges Hellblau, Türkis und warme, kraftvolle Rot- und Goldtöne.
In mit breitem Pinsel aufgetragene, durchlässig scheinende Farbflächen setzt er zart wirkende Umrandungen oder Konturen, kratzt Muster in die Farben und collagiert mit Fotos bzw. bedruckten Papieren. Um Fernsehnachrichten und Erzählerstimme voneinander zu trennen, wechselt er die Schriftart.
Zwei der Illustrationen könnten am Anfang einer Buchvorstellung stehen: Eine Kindergruppe betrachtet den im dunklen Hauseingang hockenden Mann, die andere den königlichen Ahmed. Welchen Eindruck macht die jeweils abgebildete Person?
(Der Rote Elefant 35, 2017)