Oskar, Bossie und Geesje haben die stille Milchstraße unter sich, wenn sie in öden Sommerferien auf der Mauer an der Alteisen AG am Rand ihres Wohngebietes sitzen und Leute beobachten – besonders die alte Frau in roten Stiefeln und mit gebrechlichem Dackel täglich um 6 Uhr abends. Eine spontane Wette unter den Kindern, wer von den beiden zuerst sterben wird, führt bald zu Streitereien und gegenseitigen Verletzungen, bringt aber vor allem tiefliegende Verlustgefühle ans Licht: Geesje muss den tatsächlichen Tod ihrer Tante verarbeiten; den Brüdern fehlt die sich (zeitweilig) von der Familie losgesagte Mutter.
Über einen zwar kurzen, doch prägenden Lebensabschnitt erzählt rückblickend, aus gereifter Perspektive heraus der jüngere Bruder. Mit Oskar hat der psychologisch wie literarisch überaus versierte Autor zum wiederholten Mal („Bloße Hände“, „Brüder“) eine Jungenfigur geschaffen, in der sich wahrhaft kindlich Sensibilität und Mitgefühl mit Beobachtungsgabe, Fantasie und Reflexionsvermögen vereinen. „Bei Papa wurde ich immer sehr schnell still. Ich sammelte ganz allein meine Erinnerungen, ohne ihn. Wenn es so weiterging, …, würde ich ein Astronaut werden, der sich eines Tages von ihm lösen und im Weltall verschwinden würde.“ Atmosphärisch und dicht, schlicht und poetisch – eine Leistung auch der Übersetzerin – lässt Oskar Erlebnisse im Dreiergespann, Gespräche, Stimmungen und Hoffnungen der verschiedenen Protagonisten aufleben. Quasi lehrhafte Gute-Nacht-Geschichten von Bossie (Oskar: „Ist das wirklich passiert?“) und nicht zuletzt Leerstellen im Plot (Was ist eigentlich aus der Frau mit dem Hund geworden?) rufen in jungen und erwachsenen Lesern wie von selbst Assoziationen hervor, lassen mitfühlen und weiterdenken. Wenn Oskar sich vor Rückkehr der Mutter als verständig und „stark“ empfindet, haben neue Wege und Begegnungen – so in eine langweilige Villengegend mit einem egozentrischen Mädchen oder auf einen Schrottplatz außerhalb der Stadt mit einfachen, uneigennützigen Menschen – dies mit bewirkt. Dann erhellt sich auch der Bezug zum vorangestellten Dante-Zitat über die Milchstraße hoch oben, die sogar „Weise zum Nachdenken bringt“.
In Holland als bestes Kinder- und Jugendbuch des Jahres 2012 ausgezeichnet, regt seine Lektüre dazu an, die eigene kleine Welt, in der nichts bleibt, wie es ist, mit dem ‚ganz Großen‘, sich stetig Verändernden in Beziehung zu setzen. Hierfür bietet sich auch der Besuch eines Planetariums an, wo die Milchstraße im All mit wandernden großen und kleinen Sternen beobachtet werden kann.
(Der Rote Elefant 32, 2014)