Schon Ringelnatz, der b ö s e Ringelnatz, hat in seinem Gedicht „Silvester bei den Kannibalen“ lustvoll-drastisch beschrieben, wie eine Mahlzeit aus kleinen Kindern zubereitet wird.
Im Buch vom Yark tut sich das titelgebende Monster gleich auf der ersten Seite an kleinen Fingern, Füßen und Kinderaugen gütlich. Allerdings hat der Yark ein Problem: böse und unartige Kinder bekommen ihm nicht und brave sind inzwischen überaus selten. Außerdem „hat das moderne Kind auch an Nährwert verloren … die Klugheit gebietet, es vor dem Verzehr abzukochen.“ Der Yark hat es also nicht leicht, seine Ernährung sicherzustellen. Und dann begegnet ihm Madeleine. Sie mag das Monster und findet es sogar schön. Das passt nun gar nicht. Hin- und hergerissen zwischen Zuneigung und Fresslust entscheidet sich der Yark für die Flucht. Aber nach einigen Abenteuern einschließlich einer Mahlzeit von 102 ausgewilderten Kindern – den Eltern waren sie zu unförmig und launisch geworden – kehrt der Yark zu Madeleine zurück, frisst keine Kinder mehr, malt schöne Bilder und erzählt manchmal des Nachts alptraumgeplagten Kindern seine Geschichte.
Gezeichnet sieht der Yark wie ein Riesenbär mit Haifischmaul und Fledermausohren aus, grauslich anzusehen mit struppigem Fell und hervorquellenden Augen. Es braucht schon einige Überwindung, um es Madeleine gleichzutun und so ein Biest zu mögen. Ist diese phantastische Geschichte eine Parabel über die Kraft der Liebe? Geht es um ein Gleichnis für „Fressen und Gefressenwerden“, um die Erzeugung von Angst-Lust oder ist das einfach schwarzer Humor, der die Dinge mal gehörig auf den Kopf stellt? Ringelnatz erhielt 1924 eine polizeiliche Verfügung, dass sein „Geheimes Kinder-Spiel-Buch“ „eine ernstliche Gefahr für die sittliche Empfindung der Kinder“ darstelle und nur an Erwachsene verkauft werden dürfe.
Eine solche wird dem „Yark“ hoffentlich nicht drohen, denn das provokante, thematisch ungewöhnliche und mittels der ausdrucksstarken Schwarz-Weiß-Zeichnungen bildgewaltige Buch bietet viele Anknüpfungspunkte für eine Diskussion zwischen Kindern, aber erst recht zwischen Kindern und Erwachsenen. Schon der Einleitungssatz „Unter allen Monstern, die sich auf der Erde tummeln, ist der Mensch das verbreitetste“ bringt allen Lateinern den Spruch „Homo homini lupus“ ins Gedächtnis. Und dann … ja, dann eröffnet sich ein weites Feld. Je nach Erfahrung auf dem Feld „Philosophieren mit Kindern“ lassen sich viele witzige und leider gar nicht so witzige Gespräche über das Zusammenleben der Menschen und das Thema Erziehung führen, ein Thema, das Kindern nicht so fern ist.
(Der Rote Elefant 33, 2015)