Ihrem thüringischen Heimatdorf und piefigen Elternhaus ist Rike nach Berlin entwichen. Hier studiert sie Soziologie und lebt in einer WG mit Theo (der sich nicht weiter für sie interessiert). Der musizierenden Mila begegnet Rike zum ersten Mal in der U-Bahn; danach erlebt sie das russische Mädchen mit Gitarre, eigenen Liedern und Songs von Janis Joplin, Rikes Lieblingssängerin, in einem Club und ist erneut fasziniert. Rike ringt um Milas Freundschaft, nimmt sie später sogar bei sich auf. Doch Mila verheimlicht Rike, dass ihr „Aufenthaltstitel“ für Deutschland längst abgelaufen ist …
Britta Keil, selbst noch eine junge Frau, legt eine psychologische Beziehungsgeschichte zwischen zwei jungen Frauen vor, die mit einer (Ent)Täuschung endet. Ironisch-selbstbefragend schildert Rike Erlebnisse auf Partys, beim Studieren oder beim Jobben in einer Kneipe – durchwoben von Wahrnehmungen und Reflexionen zum für sie neuen Moloch Großstadt. Mit poetischen, von literarischen Erfahrungen zeugenden Bildern, etwa einem nicht zähmbaren Raubtier, einem Ort ohne Sonntage oder als Aneinanderreihung von Paralleluniversen sucht sie diesen zu fassen.
Sprache und Duktus der Ich-Erzählerin, ihr Umfeld zu betrachten, sind die eigentliche Qualität dieser Erzählung. Die Titelfigur Mila hingegen bleibt für Rike wie für Leser/innen gleichermaßen ‚unfassbar’. Rikes Fragen, etwa nach ihrem Zuhause oder ihren Plänen, beantwortet die ‚Freundin’ höchstens knapp oder ganz ausweichend. Engem Zusammensein folgen längere Phasen ohne Wiedersehen. Eher Andeutungen als Informationen zu Milas früherem Leben und ihrer Innenwelt vermitteln kursiv geschriebene, teils liedhafte Einschübe. Mit ihrer musikalischen Begabung und dem unbezwingbaren Willen, einer ‚Bestimmung’ auf Berühmtheit zu folgen, hat Mila etwas, was Rike sowohl bezaubert als auch erschreckt. Zuletzt ist Mila weg und Rike glaubt, die Freundin verraten zu haben; das besagen Verse, die dem Prosatext vorangestellt sind. Im Ende der Erzählung offenbart sich somit der Ansatz einer gesellschaftspolitischen Fragestellung, den weder Protagonistin noch Autorin weiter verfolgen. Daher dürfte spannend sein, ob andere nach Lebenssinn und Freunden suchende junge Leute Rikes Schuldgefühl teilen.
(Der Rote Elefant 30, 2012)