„Der kleine Han Gan tat nichts lieber als zeichnen …“ So beginnt die Geschichte des armen Bauernkindes, das zu einem berühmten Künstler am Hofe des Kaisers wird. Die Leidenschaft des jungen Malers sind die Pferde. Auf die Frage, warum er die Tiere immer angebunden male, antwortet er: „Weil ich nicht möchte, dass sie mir davonlaufen.“ An diesem Punkt wechselt die Legende zum wundersamen Märchen: „So kam es, dass man sich nach einer Weile die erstaunlichsten Dinge über Han Gan und seine Pferde erzählte …“ und der zweite Teil der Geschichte beginnt. Eines Nachts berichtet ein Krieger dem berühmten Maler, dass der Feind vor den Toren stehe und er bräuchte das stärkste Schlachtross, das man sich vorstellen könne. Als Han Gan seinen ersten Versuch in die Flammen werfen will, entspringt dem Feuer ein unbezwingbares Pferd. Die Schlacht könnte beginnen. Doch dient Han Gans Kunst nicht der Gewalt und Brutalität, das Pferd kehrt auf die Leinwand zurück. Ein eindrucksvolles Portrait des weinenden Pferdes ist Erklärung genug.
Der Pferde-Maler Han Gan lebte vor über 1200 Jahren in China. Eines seiner berühmtesten Bilder „Pferd Leuchtendes Licht in der Nacht an einem Pfahl“ hängt im Metropolitan Museum in New York. Chen Jianghong ließ sich vom Bild inspirieren und überführt die historisch-biografische Ebene ins Magische und Wundersame. Dabei verbindet er klassische chinesische Kunst wie Tusche auf Reispapier oder Seide mit einer modernen Gestaltung von Flächen und Räumen. Spannung erzeugt das Zusammenspiel von Leerflächen einerseits und eine genaue Darstellung von Details andererseits.
Die Bilderbücher von Chen Jianghong bilden ein wunderbares Tor sowohl in die asiatische Kultur als auch in die Magie von Bildern und Büchern. Ausgangspunkt könnte eine Kopie des Originalbildes „Pferd Leuchtendes Licht in der Nacht an einem Pfahl“ von Han Gan sein. Man sieht ein angebundenes Pferd, umgeben von chinesischen Zeichen. Was für eine Geschichte könnte dahinterstecken? Wenn alle die Geschichte kennen, können auch die Kinder Bilder lebendig werden lassen. Zum Beispiel gemalte Pferde oder andere Tiere chinesischer Mythen als Stabpuppen aus Reispapier.
(Der Rote Elefant 23, 2005)