Der heute 75-jährige Dramatiker, Prosaautor und Essayist Christoph Hein schuf im Laufe seines Lebens in der DDR und im später vereinigten Deutschland nur zwei Kinderbücher: „Das Wildpferd unterm Kachelofen“ und „Mama ist gegangen“. Mit „Alles, was du brauchst“, einer Art Lebensratgeber, wendet er sich nun erneut an junge Leser* innen, um eigene Erfahrungen für ein erfülltes Leben an Heranwachsende weiterzugeben. Als Erzählaufhänger (Vorwort) nutzt er eine Kindheitsepisode: Für einen sechswöchigen Krankenhausaufenthalt packte der Junge drei Koffer: „nur das Notwendigste“. Zwei davon blieben ungeöffnet …
Bereits die rückseitige Coverillustration eines kleinen Jungen mit riesigem Koffer und das Inhaltsverzeichnis benennen „die 20 wichtigsten Dinge“. Materielles ist wenig dabei: Lieblingsessen, Bett, eigenes Zimmer, schönes Kleid, Fahrrad. Stärkere Wertschätzung erfahren vor allem Beziehungen zu Mensch und Tier: Freund, Mama, Geschwister, eine „Zuhörer“-Tante, Familie, Clique und Katze sowie ideelle Anreize und Herausforderungen, etwa „Geschichten“, „Musik machen“, „Verliebt sein“, „Über den eigenen Schatten springen“. Dem Autor genügen maximal zweieinhalb Seiten Text, um die einzelnen Parameter für das „Brauchen“ stichhaltig, in kunstvoll einfacher Sprache und teils mit leichtem Augenzwinkern zu begründen. Die Perspektive des älteren Erwachsenen behält er durchweg bei, wobei er auch Erlebnisse mit Frau und Sohn einflicht. Zugleich spricht er im Sinne eines möglichen Erfahrungsaustausches (eher mit Jungen als mit Mädchen) seine Leser direkt an. Manch rückblickende Replik erscheint etwas altväterlich und Kindern, die emotional oder sozial vernachlässigt aufwachsen, könnte das Herz schon mal schwer werden. Zwar spart Hein Kummer, Tränen und Geheimnisse als zum Leben gehörend nicht aus, bleibt hier jedoch leider (zu) allgemein.
Über Privates weit hinausreichend, bereitet ihm heute die größte Sorge, dass „unsere Gier den kleinen blauen Planeten Erde vertilgt“. Im etwas längeren Kapitel „Entdeckungen und Erfindungen“ gelingt es dem Autor, den gegenwärtigen Weltzustand schon jüngeren Kindern verständlich vor Augen zu führen und sie anhand historischer Beispiele zu Welt verändernden Ideen zu ermuntern.
Haptisch und optisch ist das schmale Buch sehr gediegen: Festeinband, stärkeres matt weißes und verschiedenfarbiges Papier, großzügige Leerseiten, farbige und differenzierte Schriftelemente, ganzseitige und facettenreiche Illustrationen. Von Titelbild und Vorspann ausgehend, könnte anhand eines geöffneten Koffers überlegt werden, was der kleine Junge einst eingepackt hatte. Schon wäre man im Dialog darüber, was wirklich jeder braucht …
(Der Rote Elefant 37, 2019)