„Wir Menschen sind sehr verschieden. Wir sprechen mehr als sechstausend verschiedene Sprachen. Niemand versteht alle Sprachen. Manches verstehen wir ohne Worte.“
Jeder Mensch ist Einzelwesen, gesellschaftliches Wesen, Lebewesen der Spezies „Mensch“. Die sich daraus ergebenen Widersprüche und Konflikte stellen Mensch und Menschheit vor Herausforderungen. In Zeiten teils hitziger Diskussionen um das Recht jedes Einzelnen auf Wahrgenommen- und Gesehenwerden, um Identität und Macht ist dieses Buch ein wohltuend entspannter Beitrag. Dieter Böge und Bernd Mölck-Tassel stellen das Gemeinsame, Verbindende und das Individuelle dar. Sie eröffnen mit einem spannungsvollen Text-Bildverhältnis Räume, die zum Innehalten, Fragen, Nachdenken – und zum Miteinanderreden einladen. Während die Texte auf das WIR fokussieren („Wir machen nicht alles richtig. / Wir sind neugierig. / Wir haben gerne Glück.“), zeigen die Bilder konkrete Situationen mit Einzelnen oder kleinen Gruppen. Und bilden eine Vielfalt von u. a. Alter, Geschlecht, Ethnie, Religion, Lebensumfeld etc. ab. Sie verweisen auf Menschheitsgeschichte, problematische Verhaltensweisen, zeigen Skurriles, Rätselhaftes. Alles ohne Anspruch auf Vollständigkeit, was in der Natur der (individuellen) Sache liegt. So wird jeder betrachtende große oder kleine Mensch die Aussagen mit den mehrdeutigen Bildern in Beziehung setzen, hinterfragen, ergänzen. Bezieht sich die Aussage „Wir können grausam sein“ in der Illustration auf den Kahlschlag im Wald, den verlorengegangenen Lebensraum der Tiere oder auf die Kinder mit den Stöcken, einen Igel beäugend? „Wir sind keine Maschinen“, heißt es an anderer Stelle. Das zugehörige Bild zeigt eine angekettete Milchkuh mit Abpumpschläuchen am Euter.
Die zumeist doppelseitigen Bilder sind teils reduziert-plakativ, teils detailreich ausgearbeitet. Mölck-Tassel arbeitet mit schwarzen Umrandungen; die Hintergründe sind weiß, farbflächig oder aquarelliert. Die Natur als Lebensraum ist allgegenwärtig in den abgebildeten Pflanzen, Tieren und Landschaften. Das wiederkehrende Vogel-Motiv verweist zudem auf Sehnsucht, Gefangensein und Freiheit. „Ein freundliches Buch über uns alle, für uns alle“, heißt es im Klappentext. Hoffentlich findet es zahlreiche Leserinnen und Leser jeden Alters, die freundlich miteinander ins Gespräch darüber kommen, was uns Menschen ausmacht, wie wir sind.
Welche Assoziationen lösen die Wir-Aussagen bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen aus? Welche Beispiele finden sie für menschliche Grausamkeit, Neugier oder Glück?
(Der Rote Elefant 39, 2021)