Voller Neugier jagt der kleine Fuchs zwei lilafarbenen Schmetterlingen hinterher, stürzt einen Abhang hinunter und bleibt reglos liegen. „… dann beginnt sein Traum“. Darin vollzieht der kleine Fuchs quasi sein bisheriges Kinderleben nach: die liebevolle Betreuung durch Mama und Papa, das Herumtollen mit Geschwistern, erste Schritte nach draußen, Entdeckungen und Lernprozesse auf immer ausgedehnteren Ausflügen. Dabei erfuhr er bereits, dass „die Welt“ nicht nur gut ist. Zum Glück befreite ihn damals ein Menschenkind aus dem Pott, in den er seinen Kopf gesteckt und nicht mehr herausbekommen hatte. Den Traum des kleinen Fuchses beendet jener SCHLAG, mit dem er auf den Boden geprallt war. Er sieht sich selber daliegen und denkt: „Wacht der kleine Fuchs noch mal auf?“ Ja, sei hier verraten – dank des kleinen Jungen, der ebenfalls auf Entdeckertour war.
Was dem kleinen Fuchs geschieht, mag für jüngere Kinder als Zumutung erscheinen. Dass dem nicht so ist, erst recht nicht bei feinfühliger Begleitung, verdankt sich dem bis in die Details durchdachten, überaus kunstvollen Zusammenspiel von Text und Bild. Mit drei (teils textlosen) Doppelseiten schafft Marije Tolman am Anfang, in der Mitte und am Ende des Buches einen Erzählrahmen. Inmitten blaugrün eingefärbter Fotos von Dünen- und Waldlandschaften, in welche sie Wasservögel und Waldtiere gezeichnet hat, agiert der neonorangefarbige, die Blicke durchweg auf sich lenkende kleine Fuchs. Vor denselben Hintergründen ist der „kleine Mensch“ unterwegs, dessen Haarfarbe mit der des Fuchsfells korrespondiert.
Die Traumsequenzen des kleinen Fuchses ‚untermalen‘ sowohl großformatige Zeichnungen als auch Panels und Vignetten in warmen und wiederum leuchtenden Farbtönen. Eng mit dieser Stimmung verbunden, erzählt der renommierte Kinderbuchautor Edward van de Vendel eine zwischen Wirklichkeit und Fiktion changierende poetische Geschichte über Empathie und Brüderlichkeit. Letztere sind aber nicht nur Thema der Geschichte, sondern auch der Erzählweise immanent. Hinter der naiv-kindlich-forschenden Fuchs-Perspektive ist stets, zuletzt ganz deutlich, die erfahrene, fürsorgliche Stimme des Erzählers zu spüren, womit wiederum die Empathie der Zuhörer- bzw. Leser* innen „brüderlich“ tröstend begleitet wird. Jüngere Kinder finden sich leicht in den Figuren wieder und nehmen gern Angebote zu eigenem Erzählen wahr. Für ältere Leser*innen gilt es, eine gleichsam philosophische Nuss zu knacken: „Neugier ist Todesgier“ warnte der Papa einmal den kleinen Fuchs. Hätte er also den lila Schmetterlingen nicht hinterherrennen sollen?
(Der Rote Elefant 38, 2020)