Es gibt Personen, die mit ihrem Tun und ihrem Namen fast eine ganze Epoche prägten, aber eine Generation später nahezu vergessen sind. Zu denen, die nicht vergessen werden dürfen, gehört Rudi Dutschke. Alle aus der sog. 68er Generation, zu der sich die Autorin (Jg. 1945) wohl auch zählt, haben noch die Filmbilder im Kopf oder die Stimme Dutschkes im Ohr, welche auf Straßenprotesten oder in SDS-Versammlungen die Anwesenden in ihren Bann schlug.
Die von Zöller vorgelegte Biografie geht natürlich auf zeitgenössische Ereignisse ein – den Tod Benno Ohnesorgs, den Vietnam-Kongress, die Entstehung der APO, aber im Mittelpunkt steht der Mensch Rudi Dutschke, seine Kindheit und Jugend in der DDR, sein Studium und seine politische Entwicklung, sein tragisches Schicksal. Um Dutschkes Persönlichkeit lebendig zu veranschaulichen, zitiert die Autorin aus Tagebuchaufzeichnungen und dem Briefwechsel mit der Familie oder konstruiert szenische Dialoge anhand vorhandener Quellen. Außerdem werden viele dokumentarische Fotos benutzt. So entsteht das Bild eines Idealisten, der sich von der Spaßguerrilla der Kommune 1 genauso abgrenzte wie von den Attentaten der RAF, der belesen und theoretisch bewandert war (Begegnungen mit H. Marcuse, Bloch, Habermas), der die Befreiung des Individuums höher bewertete als die Veränderung der Gesellschaft und der wusste, dass das eine nicht geht ohne das andere.
Wo die Sympathien der Autorin liegen, kommt klar zum Ausdruck. Sie kritisiert scharf das Verhalten der westberliner CDU-Regierung, die Springer-Presse und die aufgehetzte bürgerliche Bevölkerung, die in eine Art Progromstimmung mündete. Mit dem bekannten Ende: Dutschkes Ermordung. Zöller beschreibt dann aber auch positive Entwicklungen, an denen Rudi Dutschke und die Studentenbewegung einen Anteil hatten: Reformen im Bildungs- und Sozialbereich, die kritische Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit, die Gründung der Partei „Die Grünen“ und überhaupt eine offenere und breitere Debatte über politische Themen. Ob das von Dauer war oder inzwischen wieder einen backlash erleidet, müssen die Leser*innen selbst entscheiden, wenn sie sich vom „Leben des Rudi Dutschke“ und seiner Zeit wieder der Gegenwart zuwenden. Zeittafel, Glossar und Literaturverzeichnis ergänzen die Biografie. Alles zusammen könnte Jugendlichen helfen, aktuelle Probleme genauer zu befragen und in die politische Entwicklung einzuordnen.
(Der Rote Elefant 36, 2018)