Mittwoch, 14 Uhr: Besuchszeit. Lacht der Vater, freut sich der Sohn über dessen blitzenden Goldzahn, ärgert sich jedoch, dass Vater wieder raucht. Aber der Sohn schimpft nicht. Heute will er „… rote Augen und weiße Fäuste“ vermeiden. Erinnerungen an eine Zeit tauchen auf, als er – nach dem Beruf des Vaters gefragt – nicht wusste, was er sagen sollte. Inzwischen antwortet er: „Wolkenbildhauer, Maulwurfsbändiger, Schimpfworterfinder“, denn der Vater kann lustig sein, aber auch ungehalten oder bekümmert. „Nebelfabrikant“ träfe ebenfalls zu und entspräche der Trauer in den Augen der Mutter, die neben dem Sohn sitzt. 15 Uhr: Ende der Besuchszeit. Der Vater weint. Der Junge weint nicht mit, „diesmal nicht“.
Emmanuel Bourdier und ZAÜ gestalten auf differenzierte Weise ein (für das Bilderbuch) ungewöhnliches Thema. „Haselnusstage“ (Deutsch-Französischer Jugendliteraturpreis 2015) erzählt vom Leben eines etwa neunjährigen Kindes, dessen Vater im Gefängnis sitzt – was sich erst am Ende des Buches erschließt. Ganz unmittelbar und konsequent an die kindliche Perspektive gebunden, offenbart sich in der einstündigen Besuchszeit die Unsicherheit des Jungen dem Vater gegenüber: ein Gemisch aus Furcht, Scham, Wut, Stolz und Zuneigung.
Manchmal versteht er den Vaters nicht, z. B. dessen Gefühlsausbruch angesichts schlechter Schulnoten. Der Sohn soll „davonkommen“ und nicht so werden wie der Vater! Aber gerade über das vom Kind nur Beobachtete bzw. nicht Verstandene vermitteln sich emotionale Belastung und Ambivalenz der Familiensituation: das Leben ohne den Vater, den Kummer der Mutter, das (Ver)Schweigen, die wenigen Glücksmomente. Vater, Mutter, Kind brauchen und vermissen einander, müssen aber mit dem Getrenntsein leben, noch lange. Wie das zu schaffen ist, darüber können Leser/Betrachter*innen aufgrund weniger Anspielungen auf Charaktere und Sozialstatus der Familie nur Vermutungen anstellen.
Korrespondierend zum Titel „Haselnusstage“ brachte der Illustrator seine eindrucksvollen schwarz-weiß-grauen Pastellkreidezeichnungen auf noisettefarbenes Papier auf, wobei er Hintergründe eher prägnant-sparsam gestaltet. ZAÜs Fokus liegt auf den Emotionen von Mutter/Vater/Kind. Körper und Gesichter „sprechen“ in Haltung(en) und Ausdruck auf überaus intensive Weise, so dass im Text Ausgespartes ergänzend assoziiert werden kann. Das erste Porträt des Vaters genau betrachtend, könnten Kinder Vermutungen über dessen Wesen äußern – und mit dem zweiten Porträt vergleichen.
(Der Rote Elefant 36, 2018)