„Des Nachbarn Kuh ist krank. Das ist nichts Besonderes, aber es bereitet einem doch immer wieder Freude“. Diese Volksweisheit mag hämisch klingen, gleichwohl ist sie Motivation und Motto für dieses wahrhaft ungeheuerliche Buch. Denn selbst die furchterregendsten Monstren sind vor Krankheit nicht gefeit. So kann man sich ein klitzekleines bisschen an deren Kummer weiden und muss keine Angst vor ihnen haben. Sogar Mitgefühl ist möglich, betrachtet man sich die sonst so grauenvollen Kreaturen genauer: dem Riesen ist speiübel – er kann sich kaum noch auf den Beinen halten, die Teufelin hat Angst und geht durch die Hölle, das Skelett hat einen Bandwurm und natürlich „nichts zuzusetzen“.
Fünfzehn großformatige Doppelseiten (38 x 28 cm) hat die Autorin und Illustratorin geschaffen, wobei sie Ursachen, Symptome, Diagnose und Therapie der verschiedenen Gebrechen auf der linken Buchseite platziert, während die rechte ganz der Darstellung der Patienten gewidmet ist. Sie spielt mit der Angst vor dem Unheimlichen. Übergroß und grässlich stehen, liegen oder sitzen sie da, die Monster, mit ihren spitzen Zähnen und Fingernägeln, den Verwachsungen und Hörnern. Ihre Begleiter sind Schlangen, Kröten, Fliegen, Schnecken, Fledermäuse und sogar ein Krake. Hie und da lugt schon mal ein Menschenbein aus einer Rocktasche …
Die ausdrucksstarken Zeichnungen sind mit zahlreichen Details versehen. So gestaltet die Künstlerin die Kleidung ihrer Protagonisten mit aufwendigen Mustern und gibt uns damit einen Einblick in deren Geschmack. Auf jeder Doppelseite dominiert zumeist ein Farbton. Mit nahezu wissenschaftlicher Genauigkeit werden wichtige Bestandteile der medizinischen Betrachtungen abgebildet und wir erfahren u. a. dass das Erwachen schlafender Vögel im Kopf Migräne verursacht und Augenkuchen zu Durchfall führt. Es sind die Menschen, die den Kranken die lindernden und heilenden Mittel verabreichen – von Estragonsenf-Umschlägen gegen Stinkefüße bis hin zu Schmetterlingsküssen gegen Depression.
Dieses Buch übt einen besonderen Reiz aus, was vor allem an der immensen Anziehungskraft der Illustrationen liegt, die der Text nicht in gleichem Maße auszuüben vermag. Die Bilder der Kranken sollten deshalb auch im Mittelpunkt der Beschäftigung mit dem Buch stehen. Die Kinder selbst schlüpfen in die Rolle medizinischer Helfer und stellen Vermutungen über Ursachen, Symptome und Behandlungsmöglichkeiten an.
(Der Rote Elefant 25, 2007)