Kleine Tiere sind niedlich, selbst wenn sie als Nilpferd (großes Flusspferd, hippopotamus amphibius) auf die Welt kommen und später zwei Tonnen wiegen. Zoowärter Simon zieht den kleinen Kako aus Senegal mit der Flasche auf, kümmert sich rührend um ihn, lässt ihn wegen seiner Schwimmkünste zum Publikumsliebling werden, bis … ja bis das schreckhafte Tier ihn eines Tages angreift und verschlingt.
Das mit dem Verschlingen stimmt nicht ganz, schließlich sind Nilpferde Vegetarier, aber der Unfall hat sich tatsächlich 1903 in Paris zugetragen. Der Tierpfleger starb im Krankenhaus. Also eine „wahre Begebenheit“ wie der Untertitel verrät.
Der knappe, leicht ironische Text gibt das Geschehen wieder, wobei auch Gefühle des Wärters angedeutet sind. „Regelmäßig überprüfte Simon die Temperatur des Badewassers, voller Sorge, sein Schützling könne sich erkälten.“ Zurückhaltend in Schriftschnitt und -ausführung fügen sich die Textzeilen in die Bilddoppelseiten ein. Der Text wirkt wie mit der Feder geschrieben und korrespondiert mit Federzeichnungen in den Bildern. Auf der fiktionalen, malerisch angelegten Bildebene dominieren grob getuschte Wasserfarben in rot, grün und grau-braun-beige, wobei Personen, Gebäude und Gegenstände mit schwarzer Feder abstrahierend umrissen sind. Karos, Linien oder (Rund)Formen bringen mal Ruhe, mal Bewegung ins Bild und folgen oft den Formen des Nilpferdes. Das Nilpferd ist jeweils als Collage eingefügt, zusammengesetzt aus zeitgenössischen grau-schwarz-weißen Postkarten. Die Fotos, das ist bei genauem Hinsehen zu erkennen, stammen aus den Zoologischen Gärten in Anvers und Paris. Auf einer der Karten ist neben handschriftlichen Grußworten auch eine Bildunterschrift zu entdecken, die besagt, dass es sich bei dem abgebildeten Tier um „Kako, le Terrible“ handelt. Dort wird sogar von zwei Opfern („victimes“) berichtet. Auf dem Nachsatz erscheint eine reproduzierte Seite des Le Petit Journal vom besagten 3. Juli 1903. Darin ist ein deutscher Zeitungsartikel mit dem Unglücks-Bericht eingebaut. Durch Layout und gestalterische Ideen gelingt es, das reale Ereignis in die Bildgeschichte zu integrieren, aber Leser/Betrachter gleichzeitig die historische Distanz miterleben zu lassen.
Mit dem Erkenntnisinteresse eines Tierpsychologen könnten Kinder überlegen, welche Variante für Kakos aggressive Verhaltensstörung mehr einleuchtet. Der Zeitungsartikel erzählt, dass der Tierpfleger hingefallen ist und dadurch den Angriff auslöste, in der Fassung des Bilderbuchs gilt als Ursache der am Vorabend in der Nähe des Zoos stattgefundene lautstarke Feuerwehrball.
(Der Rote Elefant 33, 2015)