Ritter, Riesen, Ungeheuer – die Geschichte bietet einiges an abenteuerlichen Figuren. Felicitas Hoppe nutzt in ihrer Nacherzählung geschickt den Ton ihrer Vorlage, den mittelhochdeutschen Artusroman, und greift deren märchenhafte Motive auf, um von den Erlebnissen des Tafelrundenritters zu berichten: Iwein sucht eine besondere aventuire, eine ritterliche Herausforderung! Er begießt einen Quellenstein, ein Unwetter bricht los, der Hüter der Quelle fordert Iwein zum Kampf heraus und Iwein tötet diesen in Notwehr. Nun verliebt sich der Ritter ausgerechnet in die trauernde Witwe Laudine, gewinnt durch eine List deren Herz und Land und – schon ist das Happy End erreicht? Nein, denn Iwein versäumt die Frist zur Rückkehr, als er Laudine um urloup bat, um mit Freund Gawain ritterliche Wettkämpfe zu bestreiten. Einen Ritter, der seine Pflichten als Landesherr vergisst, kann Laudine nicht brauchen und sagt sich von ihm los. Was nun folgt ist Iweins tiefer Sturz in den „nackten“ Wahnsinn, die Begegnung mit einem kämpfenden Löwen und reichlich ritterliche aventuiren, bei denen Iwein einen Lernprozess durchlebt. Trotz vielfältiger ritterlicher Pflichten samt zeitlicher Engpässe hält er an allen Verabredungen fest. Dass er am Ende wieder zu Laudine findet, liegt nicht zuletzt an Lunete, Laudines Zofe …
Der Roman eignet sich aufgrund der kurzen Kapitel bestens zum Vorlesen. Häufig wendet sich der Erzähler direkt an Leser bzw. Zuhörer. Hier orientiert sich Hoppe an der mittelalterlichen Praxis, bei der Epen bei Hoffesten dem Publikum vorgetragen wurden. (Bücher waren Prestigeobjekte, nur wenige Menschen konnten lesen.) Die Sprachmelodie der Erzählung ist rhythmisch und die Sprachbilder überraschen und wecken die Vorstellungskraft. Ein besonderer Kniff liegt in der Wahl der Erzählperspektive. Während sich in der Vorlage Hartmann im Prolog als Erzähler etabliert, wird das Geheimnis bei Hoppe erst zuletzt gelüftet. Der aufmerksame Leser kann dem König der Tiere aber schon früher auf die Spur kommen. Da macht es nichts, dass man sich zunächst wundert, woher der Löwe denn den genauen Fortgang der Geschichte kennt – ist er (s.o.) doch erst ab Mitte des Geschehens an Iweins Seite. Betrachtet man das Cover, das Michael Sowa neben drei anderen Farbtafeln gestaltet hat, wird sofort klar, dass Iwein dem Löwen manches aus seinem Leben „geflüstert“ hat. Die Bilder zeichnen sich durch ein besonderes Spiel von Licht und Schatten, hellen und gedeckten Farben aus. Der Roman überzeugt auch durch die Figurengestaltung. Mit Lunete, schon im mittelhochdeutschen Roman eine Frau, die durch Verstand und Handlungsbereitschaft auffällt, hat Hoppe eine Figur geschaffen, die sich in diesem Ritterroman eindeutig als Identifikationsfigur für weibliche Leser eignet. Da bleiben keine Wünsche offen, oder? „Schach dem Bösen und dem Guten den richtigen Wunsch!“
(Der Rote Elefant 26, 2008)