Ähnlich wie Rosa Parks ist Harriet Tubman eine historische Nationalheldin. Ihr Konterfei sollte einen neuen 20-Dollar-Schein zieren, was Ex-Präsident Donald Trump jedoch verhinderte. Harriets Leben wird in der Ich-Form erzählt: „Ich bin ein Sklavenkind“. Als Araminta Ross um 1820 in Maryland geboren, leistete sie bereits als Kind Sklavenarbeit, zunächst im Haus, später auf dem Feld. Mit Mitte Zwanzig, sie ist bereits verheiratet, flieht sie: ohne ihren Mann, der nicht den Mut dazu hat. Über die geheime „Underground Railroad“ gelangt sie mit Hilfe weißer Unterstützer*innen nach Philadelphia, in die Freiheit. Von nun an beteiligt sie sich an Aktivitäten der Abolitionisten und auf Seiten der Union am Sezessionskrieg. Nach dem Krieg, bis zu ihrem Tod, kämpft sie für die Rechte und die sozialen Belange schwarzer Menschen.
Der Erzähltext simuliert eine Art Selbstgespräch der Heldin, die sich ihres Lebens, dessen Entbehrungen und Träumen vergewissert. Lebendig werden scheinbar kleine Situationen, ein Arbeitsvorgang, eine Abendstimmung, ein Gespräch mit ihrem Mann, aber auch „Dramen“, etwa bei der Befreiung eines geflüchteten Sklaven, der laut „Fugitive Slave Law“ eingefangen und dem Besitzer zurückgegeben werden muss. Letztlich engagiert sich Harriet für den Bau eines Altersheims für arme Schwarze, worin sie selbst mit 90 sterben wird.
Sachtexte ergänzen die fiktive Autobiographie und klären Ereignisse und Begriffe. Farblich abgesetzt, aber mit dem Erzähltext verschachtelt, stützen sie die Rezeption der Textsorten und korrespondieren ästhetisch mit den Illustrationen. Letztere, vorrangig in Grau, Schwarz und Braun gehalten, beschränken sich in den dargestellten Situationen auf Wesentliches, wirken formal reduziert, z. T. emblematisch verdichtet. Eindrucksvolle emotionale Akzente setzen sparsam eingesetztes Leuchtendrot bzw. Lichtblau. Eine einzige Doppelseite fällt mit ihrer expressiven Farbigkeit und Dynamik aus dem Rahmen. Darauf gelbrot brennende Häuser unter blauschwarzem Nachthimmel und umherirrende Menschen. Gezeigt wird die Befreiung von Sklaven auf einer Südstaatenfarm durch die Nordstaaten-Armee. Aber das Bild hat nichts Befreiend-Heroisches, sondern hinterlässt angesichts der Gewalt eher ein Gefühl der Trauer.
Ein aktualisierendes Nachwort und ein Glossar untersetzen die Thematik und verweisen auf sklavenähnliche Verhältnisse heute, inbegriffen der Hinweis auf die Bewegung Black Lives Matter und die Debatte um Rassismus oder den Begriff „Rasse“. Die gestalterische Geschlossenheit lässt über den historisch-informativ-politischen Anteil hinaus das Buch nicht nur für Kinder zu einem ästhetisch-emotionalen Erlebnis werden.
(Der Rote Elefant 39, 2021)