Truman Capote? Nelle Harper Lee? Für junge Leser*innen sicher unbekannte Namen. Nach „Tru & Nelle“ könnten sie sich fragen: Stimmt Nelles Ansage: „Eines Tages wirst du ein großer Schriftsteller sein …“? Und folgt Nelle Trus Antwort: „nur, wenn du auch versprichst, zu schreiben“? Greg Neris Nachwort klärt auf, auch darüber, warum er über die verbürgte Freundschaft ein Kinderbuch schrieb. Anfang der 1930er Jahre wohnten Capote und Harper Lee etwa drei Jahre Tür an Tür in der Kleinstadt Monroeville/Alabama. Im Roman lebt Nelle beim Vater, einem Anwalt, die depressive Mutter ist meist abwesend, Tru bei Verwandten, abgegeben von labilen Eltern. Eine für Tru schmerzvolle Lauschszene erhellt die Haltung der Mutter zu ihm: „… ich habe nie ein Kind gewollt … das Letzte ist, zu Hause zu hocken mit diesem altklugen, kleinen …“ Bei Trus und Nelles erster Begegnung hält der Siebenjährige das „Latzhosen“-Wesen für einen Jungen, die Sechsjährige den aufgeputzten „Zwerg“ für ein Mädchen. Aber Tru liest „Sherlock Holmes“, was die eigenwilligen Kinder sofort verbindet. Der Versuch, selbst Fälle zu lösen, geht reichlich schief, woraufhin Nelles Vater den beiden seine erste Schreibmaschine schenkt: Ihre Phantasien sollen beide lieber aufschreiben! Als auktorialer Erzähler verwebt Neri raffiniert Biographisches mit Motiven und Figuren aus Romanen der späteren Bestseller-Autoren (Harper Lees „Wer die Nachtigall stört“; Capotes „Andere Stimmen, andere Räume“ bzw. „Die Grasharfe“), die wiederum autobiographisch untersetzt sind. Neris atmosphärisch dichte Erzählweise und die gekonnten Dialoge scheinen ebenso davon beeinflusst. Als Tru nach New York in ein Internat gehen soll, veranstaltet er zum Abschied eine „phantastische“ Party mit verkleideten Gästen. In diesem Rahmen führt Neri noch einmal einige, die Kinderfreundschaft begleitende Konflikte zusammen: Mobbing, Außenseiterfiguren, wirtschaftliche Depression, Rassentrennung, Klu Klux Klan-Aktionen, Doppelmoral der Kleinstadt-Mächtigen.
Neris Freundschaftsgeschichte und sein kritischer Blick auf das Leben in amerikanischen Südstaaten zur erzählten Zeit wirkt für sich, macht aber gleichzeitig auf die späteren Romane der Figuren neugierig. Da deren Kindheits-Texte verloren gingen, fügt Neri dem Roman „mögliche“ Kurzgeschichten an, worin einige Roman-Episoden bzw. Figuren noch vertieft werden. Auch damalige gesellschaftliche Highlights, wie z. B. der Lindbergh-Ozeanflug 1927, und Sportgrößen, die auf Trus und Nelles Schreiben inspirierend wirkten, werden aufgegriffen. Auszüge daraus böten sich für einen Einstieg in den Roman an, z. B. Nelles und Trus erstes Treffen, geschildert aus Nelles Perspektive, der „Flug“ mit dem Flügel-Auto oder die Episode um das „zweiköpfige Huhn“.
(Der Rote Elefant 38, 2020)