„Noch heute, Jahrzehnte danach“, erinnert sich Lena an die (zu) vielen Ereignisse in den Sommerferien und zu Herbstbeginn. Die Pubertierende verstrickte sich in erste Liebeswirren und musste die zeitweilige Trennung der Eltern nebst Wegzug aus dem Heimatdorf nach Linz verkraften. Besonders brannten sich ihr die Freundschaft und der Verlust des wenig älteren Georg ins Gedächtnis, der zeitweise ihr Nachbar war. Wegen seiner „magischen“ Beziehung zu Vögeln nannte sie ihn „Vogelschorsch“. Äußerlich bereits durch unübliche Kleidung ein Sonderling, unterschied er sich erst recht aufgrund seines Wesens und seiner ‚eigenen Welt‘ von Lena und deren Schulfreunden: Mal tauchte er unvermittelt auf, ein anderes Mal blieb er einfach weg. Meist schwieg er sich aus, besonders über seine desolaten Familienverhältnisse; manchmal gab er ein „Geheimnis“ preis, so den verwilderten, Glücksgefühle auslösenden Garten seiner Oma. Immer und überall „lebte“ und kommunizierte Georg mit Vögeln. Eine große Eiche auf einer Waldlichtung bestückte er mit zahllosen selbst gebastelten Vogelhäusern und glaubte fest daran, dass jeder Verstorbene als Vogel wiederkehren würde. Er selbst als Buntspecht …

Verstörung und Faszination, Distanzversuche und Anziehungskraft, welche die Beziehung Lenas zu Georg bestimmten, werden sich auch auf die Leser* innen übertragen, wobei zur Textausstrahlung breit erzählte, poetisch aufgeladene Sprachbilder beitragen. Die teils großformatigen, schwarzgrau- weißen Zeichnungen der renommierten Illustratorin Ulrike Möltgen bilden dazu ein beeindruckendes Äquivalent. Illustrationen in Jugendbüchern sind selten. Hier fangen sie in durchdachten Perspektiven, diffus erscheinenden Lichtverhältnissen oder übereinander gelagerten Bildschichten ambivalente Atmosphären und widerstreitende Empfindungen kunstvoll ein. Für das Jugendbuch-Debüt des österreichischen Drehbuchautors sind sie ein Gewinn, zumal sein Erzählstil nicht durchweg  überzeugt. Lena ‚spricht‘ geradezu, wie ihr der Schnabel gewachsen ist, in oberösterreichisch-mundartlichem Duktus. Das hat seinen Reiz und nimmt dem Text  an Schwere, wirkt aber zuweilen so redundant, dass sich manch schwebende Andeutung in Geschwätzigkeit verliert.

Nicht ganz stimmig erscheint in diesem Kontext auch der in Prolog, Epilog und vorausgreifenden Einschüben behauptete Zeitabstand (Angelegenheiten auch des Lektorats). Nichtsdestotrotz provoziert der Text Fragen, die eine Auseinandersetzung lohnen: Kann man den Suizid einer nahestehenden Person vorausahnen und eventuell verhindern? Gibt es überhaupt Trost?

(Der Rote Elefant 38, 2020)

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