Eine gute Idee, Bölls „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ (1963) für das Bilderbuch zu adaptieren und dafür den französischen Comic-Künstler Emile Bravo (DJLP-Preisträger 2010 mit „Meine Mutter ist in Amerika und hat Buffalo Bill getroffen“) zu gewinnen.
Denn: Bölls antikapitalistisch-philosophischer Beitrag zum Problem „Haben und Sein“ ist hochaktuell. Sein Tourist macht Druck, Leistungsdruck, Mehrwertdruck. Davon wissen auch Kinder schon etwas und sie sollten für ihren Lebensplan darüber nachdenken, welche Augenblicke es sind, in denen sie sich eins mit sich und der Welt fühlen – wie der „kluge Fischer“. Um darüber nachzudenken, sind Kunst und Literatur da. Dafür hat Böll diese aufklärerische Geschichte erdacht und mit der für ihn typischen ironischen Lakonie aufgeschrieben. Bravo hat ihn verstanden. Dank ihm ist es ein intelligent illustriertes, schönes Bilderbuch geworden. Ausgesprochen bedauerlich dagegen ist der inkonsequente Umgang mit der Text-Vorlage. Ob es legitim ist, nur im Impressum darauf zu verweisen, wo der ungekürzte Text zu finden ist und auf dem Titelblatt so zu tun, als sei das Böll pur, wobei dessen Text z. T. verändert wurde, sei dahingestellt. Wenn schon Streichungen, dann nicht nur pädagogisch intendierte, wie z. B. das Entfernen des gemeinsamen Rauchens der Protagonisten oder das einiger komplizierterer Formulierungen. Professionell wäre eine grundsätzliche Entscheidung im Sinne der ästhetischen Gesetze eines „Bilderbuchs“ gewesen. Außer dem einführenden Erzählertext zur literarischen Verortung „In einem Hafen an einer westlichen Küste Europas …“ hätte es keiner weiteren Erzählertexte bedurft. Bravos filmisch orientierte Comic-Erzählung fängt durch Totale, Zoom, Schuss-Gegenschuss, wechselnde Figuren- und Betrachter-Perspektiven sehr detailreich Atmosphäre und beschreibende Textpassagen ein. Ebenso überzeugend interpretiert er Bölls Ironie, sowohl situativ als auch in den Figurenporträts. Man muss nicht lesen, dass der Fischer den Kopf schüttelt oder nickt, das ist zu sehen. Schon gar nicht, dass der Tourist schick angezogen ist oder dass er fotografiert „klick, klick, klick“, wobei letzteres überdies im Bild als Text vorkommt. Wunderbar separat ganzseitig illustriert sind die ungebremsten Phantasien des Touristen, was alles an „Mehr“ dem Fischer in den Schoß fallen würde, Reichtum, Macht und Positionen, läge dieser nicht so faul in der Sonne herum.
Bravos Bildfolge zum angeblich gesellschaftlichen Aufstieg des Fischers böte die Möglichkeit, mit Kindern zu erörtern, ob diese Imaginationen im Kopf des Touristen ablaufen oder ob der Tourist diese im Kopf des Fischers auslöst, sodass sich dieser in den imaginierten Situationen selbst sieht. Die Text-Pointe ließe sich demnach jeweils anders deuten bzw. diskutieren.
(Der Rote Elefant 32, 2014)