Der Mensch ist die Krone der Schöpfung – ein weit verbreiteter Irrglaube, dem bereits Kinder in ihrer alles einnehmenden und von Allmachtsphantasien geprägten Art frönen. Da sich die ganze Welt nur um sie zu drehen scheint, braucht es Geduld und gute Ideen, ihnen eine weitsichtigere Einstellung zum Leben nahe zu bringen.
Heinz Janisch versucht dies in seinen 21 „Kürzestgeschichten“, in denen ein kleiner König, vom Illustrator Wolf Erlbruch mit großer Krone ausgestattet, immer wieder vor Augen geführt bekommt, dass er eben doch nur ein kleiner König und Teil eines größeren Ganzen ist. In Vertretung für alle selbstherrlichen und machtverliebten Menschen wird dem Protagonisten besonders im Angesicht der Naturgewalten schnell klar, wie gering seine Macht ist. Auch in der Auseinandersetzung mit Katze, Hund und Eichhörnchen zieht er den Kürzeren. Die berechtigte Frage, woher er seinen Anspruch und sein Selbstbewusstsein überhaupt bezieht, führt einen zu sich selbst, denn schaut man ganz ehrlich in den Spiegel, kann man diesen König auch dort finden. Schon während der Lektüre der poetischen Geschichten beeindruckt des Königs Einsicht, sich auf das ihn umgebende Königreich einzulassen und dieses nicht beherrschen zu wollen, sondern sich daran – durchaus mit Demut – zu erfreuen.
Beispielhaft sei des Königs Begegnung mit den Wolken genannt: „Na ihr!“ sagte der König zu den Wolken. „Schon wieder unterwegs! Kann ich Euch gar nicht zum Bleiben überreden? Ich habe das schönste Land weit und breit. Hier gibt es saftiges Grün, Wiesen und schwarze Felder. Hier gibt es Türme, so hoch wie – „ Aber die Wolken waren schon weiter gezogen. „Verstehe“, sagte der König leise. Dann seufzte er.“
Janischs Geschichten bieten die Gelegenheit, mit Kindern einen ersten philosophischen Ausflug zu unternehmen und gemeinsam zu überlegen, was genau da eigentlich erzählt wird und was das mit ihnen und uns zu tun hat. Erlbruchs Illustrationen stehen seinen letzten Publikationen in nichts nach, begeistern durch ihre klare Komposition, die mit wenigen Buntstiftstrichen sich verändernde Mimik des Königs und die genau ausgewählten Materialien seiner Collagen. Erlbruch-Kenner werden das eine oder andere Papier sogar wiedererkennen. Bildkünstlerisch kann man dies mit Kindern aufgreifen und weitere Situationen mit dem König als Hauptfigur oder sich selbst als Teil der Schöpfung gestalten.
(Der Rote Elefant 27, 2009)