2010 veröffentlichte die UN-Kommission für biologische Vielfalt eine katastrophale Bilanz: Die heutige Situation sei mit der vor dem Aussterben der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren vergleichbar. Derzeitig liege die Aussterberate zwischen 3 und 130 Arten pro Tag. Zu diesem „traurigen“ Thema gelang Hélène Rajcak und Damien Laverdunt ein außergewöhnlich „schönes“ großformatiges Bilderbuch. Darin stellen sie 27 Tierarten vor, nach Erdteilen sortiert, die bereits vor über 10.000 Jahren oder aber erst in jüngster Vergangenheit verschwanden. Nicht immer waren die Menschen daran schuld, aber zumeist.
Jedem Tier ist eine Doppelseite gewidmet, darunter für Laien völlig unbekannte Tiere wie z. B. der Tretretretre, der Pouakai, der Mapinguari oder der Kilopilopitsofy. Aber auch der Dodo oder riesenhafte Verwandte heute noch bekannter Arten, wie z. B. der Pennsylvanische Bison, kommen vor. Die Wirkung des Buches beruht auf einer gelungenen Text-Bild-Mischung aus Sachinformationen und fiktionalen Texten. Das Künstlerduo steuerte zu jedem Tier eine Geschichte oder Legende bei, manchmal als witziger Comic-Strip gestaltet, manchmal erzählt nur ein Text vom Leben und/oder Sterben. Besonders letzteres ist gelungen, weil die traurigen Geschichten mit z. T. anthropomorph agierenden Tieren jedes Lächeln gefrieren und ein Gefühl dafür entstehen lassen, was diesen wunderbaren Geschöpfen geschah – und täglich geschieht. Exemplarisch genannt seien die Geschichte von Herakles und dem Nemëischen Löwen (der europäische Löwe starb im 1. Jahrhundert n. Chr. aus) oder die Legende einer Prinzessin, die in einen chinesischen Flussdelphin verwandelt wurde. Während die linke Seite immer als Comic in unterschiedlichsten Panel-Varianten gestaltet ist, präsentiert die rechte Seite eine große, farblich zurückhaltend gedeckte Illustration des jeweiligen Tieres. Piktogramme und Infokreise beinhalten die wichtigsten Sachinformationen. Die Themen der Comic-Seite wechseln, mal ist es eine Legende (beim europäischen Löwen), mal die Entdeckung oder das Ende der jeweiligen Tierart. Im Fall des chinesischen Flussdelphins sieht man auf vier Comicstreifen verschiedene Gebiete des Jangtsekiang, alle bebaut und verschmutzt. Erzählt wird die Geschichte einer Expedition im Jahr 2006. Tierschützer wollten die letzten Exemplare dieser Delphinart retten, aber es war bereits zu spät.
Obwohl keine der Geschichten ein Happy-End hat, muss man dieses Buch Kindern unbedingt „zumuten“, werden doch Denken, Fühlen und moralisches Handeln nachdrücklich angesprochen. Botschaft, Machart sowie die sensible Erzählweise vermitteln, wie schrecklich die Ausrottung der Tierarten seit jeher war und ist. Gleichzeitig ist es ein Denkmal für all diese Tiere, eine Mahnung an die Menschen und ein Plädoyer für ein Umwelt- und Naturbewusstsein, das sich viel zu langsam durchsetzt.
(Der Rote Elefant 30, 2012)