„La Mer …“ heißt ein weltbekanntes Chanson, ein Liebeslied an das Meer und dessen Geheimnisse. Und was gibt es Schöneres, als den Urlaub dort zu verbringen? Blauer Himmel, Sonne, frische Brise …! See(h)nsüchtige jeden Alters werden diese Sommergeschichte lieben, auch wenn sie mit einer Enttäuschung beginnt. Alwina, eine mollige Dame im besten Alter, ist ratlos: Das gebuchte Zimmer mit Meerblick ist belegt. Zum Glück findet sie ein Quartier in einer kleinen Pension. Dort trifft sie Nelli, die wütend darüber ist, dass ihre Tante kaum Zeit für sie hat. Doch nun ist Alwina da! Sofort sind sich die beiden sympathisch und verbringen fortan die Tage miteinander: spazieren durch die Dünen, essen Eis, reden, schwimmen, fahren Rad, sammeln Muscheln, segeln … Manchmal macht jede auch mal was für sich. Bis Alwina schweren Herzens abreisen muss und Nelli noch schwereren Herzens zurückbleibt. Aber: Nelli erhält ein Sommer-Sonne-Abschiedsgeschenk und Alwina ein Versprechen …
Schulmeyer erzählt pointiert, dabei humor- und liebevoll, zuweilen leise melancholisch von den Freuden, aber auch Herausforderungen des Zusammenseins. „Einige Sachen konnte Alwina nicht oder wollte sie nicht machen. Auch traute sie sich nicht … auf die Schaukel am Strand … Dafür war Alwina gut im Wasser.“ Manchmal sind Bedürfnisse von Jung und Alt eben verschieden. Dass sie trotzdem verbunden sind, zeigt das entsprechende Bild: Schaukelt Nelli hoch in die Lüfte, sitzt Alwina mit Sonnenschirm in praller Sonne und guckt zu. Auf dem Folgebild hechtet die füllige Alwina vom Sprungturm ins Meer – bewundert von Nelli.
Das klar gegliederte Bilderbuch im Querformat – links der Text, rechts das Bild – erscheint wie ein Erinnerungsalbum der beiden Protagonistinnen und wie eine bildkünstlerische Interpretation o. g. Chansons: Jeder Moment ist wichtig!
Schulmeyers in Blau, Grün und Gelb gehaltene Aquarelle auf weißem Hintergrund, worin Rot und Braun leuchtende Akzente setzen, wirken aufgrund von Rahmung und Größe wie kleine Gemälde. Lichtgestaltung und Vielfalt der Schattierungen lassen an impressionistische Kunst – etwa eines Claude Monet – denken, aber auch an Bilder von Adolph Menzel.
Dagegen erinnert die Gestaltung von Alwinas Einsamkeit in der Hotellobby eher an Edward Hopper. Da Zeichnungen und Notizen aus Schulmeyers Skizzenbuch ihn zu vorliegendem Buch inspirierten, zieren diese erweiterten Vorsatz, Schmutztitel, Titelseite und Nachsatz. Gelungen ist ein in Text und Bild Heiterkeit und Tiefsinn vereinendes Buch über eine zufällige Bekanntschaft zwischen einem Kind und einer Erwachsenen – und eines über Glücksmomente und Freundschaft ganz allgemein.
(Der Rote Elefant 37, 2019)