Ein Schmusekater ist Oskar nicht. Das sagen alle im Tierheim: Mit so einem Kopf. Mit solchen Pfoten. Mit solchen Krallen. Und sie haben recht: Oskar hat Vorfahren aus den wildesten Wäldern: Mutter – eine Wildkatze, Vater – ein Hauskater mit Vorliebe für den Wald. Im Tierheim landet Oskar nach einem guten Leben beim Waldarbeiter Knut, der ihn einst fand und aufzog. Sieben Jahre später wechselt Knut den Beruf und zieht in eine kleine Wohnung. Dort ist für Oskar kein Platz. Im Tierheim wird der stattliche Kater fotografiert und per Zeitungsanzeige als „Tier der Woche“ angepriesen. „Am Foto kann‘s eigentlich nicht scheitern. Das war, soweit ich das beurteilen kann, sehr gelungen. Ich sehe genauso aus, wie ich bin: eigensinnig eben. Ich hocke nun mal nicht gern auf jemandes Schoß. Ich leiste Gesellschaft. Ich zeige, wie man faulenzt. Ich zeige, wie man sich in Geduld übt.“
Hildegard Müller installiert den selbstbewussten Oskar als Ich-Erzähler, gewährt dadurch Einblick in dessen Alltagssicht und ermöglicht (Vor)Leser und/oder Zuhörerin Verständnis und Gefühl für ein respektvolles Miteinander von Mensch und Tier. Vom obersten Sitzbrett aus lässt sie Oskar das Gewusel im Käfig beobachten und kommentieren, gelassen das Fressen erwarten und schließlich ein wenig dösen. Im Rahmen des Nickerchens schafft die Künstlerin Raum für Oskars Erinnerungen an das Leben mit Knut, an die Gassen-Abenteuer mit dem befreundeten Hund Hugo und schließlich an den Umzug wider Willen ins Tierheim. Oskars Erzählung ergänzt die erfahrene Grafikdesignerin und Kunstpädagogin durch farbige Kreide-Illustrationen, die sie letztlich am Computer bearbeitet und zusammenführt. Diese ergänzen den Text, so dass die Betrachter*innen ein genaueres Bild von Oskars Leben bekommen. Beispielsweise bieten sechs kleine Illustrationen (S. 23) eine lebhafte Vorstellung von Oskars Satz „Den ganzen Tag über hatte ich das Haus (von Knut) für mich allein. Alle Türen standen offen. Nur die Haustür nicht. ICH TURNTE ÜBERALL HERUM“.
Erneut hat Hildegard Müller Umschlag, Gestaltung und Satz des Buches selbst übernommen. Ihr gelingt ein überzeugendes Buch, das die kinderliterarische Katzenwelt um einen Kater mit Charakter bereichert. Der humorvolle Erzählton regt Kinder mit Sicherheit an, das subjektiv Erzählte ins Verhältnis zu eigenem Wissen zu setzen. Die letzte Illustration, worin eine Frau Oskar im Katzenkorb davonträgt, bietet sich für eine Fortsetzung an. Mit welchen Gefühlen sitzt Oskar im Korb? Welche Gedanken würde er äußern?
(Der Rote Elefant 36, 2018)