Buenos Aires in den 1970er Jahren: Alma, Carmen und Marito sind gemeinsam am Fluss aufgewachsen, einander vertraut, innig befreundet. Alma stammt aus wohlsituierten Verhältnissen, verbringt mit ihrer Familie die Wochenenden und Ferien im Stelzenhaus auf der Flussinsel, weitab von der Hektik der Stadt. Nebenan, in einer einfachen Hütte, leben Carmen und Marito. In Kindertagen spielte für die drei ihre unterschiedliche soziale Herkunft keine Rolle. Dies ändert sich, als Carmen von der pubertär-unsicheren Alma vor deren Stadt-‘Freunden‘ verleugnet wird und fortan den Kontakt zu Alma meidet. Zudem verliebt sich Alma in Marito und sucht Hinweise auf Gegenliebe. Doch „… an diesem Nachmittag in seinem Zimmer, verzweifelt darauf aus, bei seinen Sachen etwas zu finden, das mir sagte, was er für mich empfand, übersah ich …, was nicht von mir sprach, sondern von ihm.“ Als Marito Almas Gefühle erwidert und beide ein Paar werden, offenbaren sich die Unterschiede ihrer Lebenswelten. Marito hält Alma vor, nicht über den Tellerrand ihres eigenen bequemen Lebens zu sehen. Sie streiten miteinander, diskutieren, lesen Bücher. Doch oft ist die unbedarfte, um sich selbst kreisende Alma durch Bemerkungen bzw. Andeutungen verunsichert, fühlt sich ausgeschlossen. Sie ahnt nicht, dass Marito und Carmen im Untergrund gegen die Militärdiktatur kämpfen. Marito wird getötet, die schwangere Carmen „verschwindet“ – wie so viele andere, die während der Diktatur heimlich verhaftet, entführt, gefoltert, ermordet wurden.
Die Autorin lässt die erwachsene Alma 30 Jahre später zurückblicken. Mit großer, fast zärtlicher Nähe zu ihrem jüngeren Ich erzählt Alma, deutlich und intensiv sind die Erinnerungen. Der zeitweise Wechsel ins Präsens verstärkt den Eindruck von Unmittelbarkeit. Alma ist voller Verständnis und Milde der naiven Jugendlichen gegenüber, die sie einmal war, doch leise Selbstvorwürfe und Melancholie schwingen mit. So weiß die Erwachsene um ihre beschränkte Sicht der Dinge, um die Arroganz der Eltern und deren Verdrängungsstrategien, z. B. als diese schwer beladen aus dem Einkaufsparadies Miami zurückkehrten und die um ihr Leben bangende Carmen dem absurden Konsumrausch zusehen musste.
Inés Garland verknüpft gekonnt Liebes- und Adoleszenzgeschichte mit einem Kapitel argentinischer Historie, dessen Aufarbeitung bis in die Gegenwart anhält. Noch immer suchen Familien der Desaparecidos, der „Verschwundenen“ nach Angehörigen. Im Epilog erzählt Alma von einer Feier zu Ehren Carmens‘ Sohn, der nach vielen Jahren „gefunden“ wurde und nun seine wahre Familie kennenlernen soll. Garland lässt sie dafür den Fluss überqueren. Dieser ist Leitmotiv des Buches, Symbol des Lebens an sich.
(Der Rote Elefant 32, 2014)