Laut Wir-Erzähler kann der Alltag der eigenen Familie ganz schön chaotisch sein. Besagte Familie besteht aus Mutter, Vater, drei Kindern und einem kleinen Hund. Anstrengend, wenn jeder seinen eigenen Kopf hat und jeder Kopf etwas anderes denkt. Manchmal jedoch denken alle auch ein- und dasselbe. Wöchentlich z. B. müssen jedem die Nägel bzw. die Krallen geschnitten werden und dabei fliegen nicht selten alle Schuhe in eine Ecke.
Schnell würden Betrachter angesichts der Illustrationen den Überblick verlieren, böte der Text nicht eine gewisse mathematische Ordnung an. So kommt beim Leser/Betrachter durch Zählen und Strukturieren täglicher Abläufe eine gewisse Freude am Zuordnen auf. Auch gibt er Auskunft über Gemeinsamkeiten, Besonderheiten und Ungerechtigkeiten innerhalb der Familie. Doch wer er„zählt“ da? Mal ist recht naiv vom „großes Schnipp-Schnapp“ (für Haareschneiden) die Rede, mal von „Skoliose“ und „Spondylose“. Stecken in diesem „Wir“ etwa alle drei Kinder und tun ihr jeweiliges „Wissen“ kund? Könnte sein. Wie für altersgemischte Gruppen typisch, lernen deren Mitglieder voneinander – und mit ihnen die Leser/Betrachter. Dass wiederholt Haare, Nasenlöcher, Sommersprossen u. a. gezählt werden, ist nur ein (komischer) Neben(lern)effekt. Denn unabhängig davon wird hier durchaus heiter an Rücksicht im Zusammenleben appelliert. Über die Erkenntnis z. B., dass jedes Familienmitglied einen Bauch mit einem entsprechend langem Darm hat, wird klar, warum morgens vor dem Bad eine Schlange entsteht. Durch bewusstes Fokussieren auf (hier körperliche) Gemeinsamkeiten, vermittelt sich eine Grundwahrnehmung für Probleme und Bedürfnisse anderer. Somit ist es verdammt unfair, wenn 10 Schuhe plus 10 Socken in der Ecke landen und nur 2 Hände zum Aufheben da sind …
Die markanten Illustrationen von Madalena Matoso mit ihren eindeutigen Farb- und Objektstrukturen unterstützen indirekt die Lust, über den Text hinaus weiter zu zählen, nämlich Dinge, die verbal nicht benannt sind: z. B. alle Äpfel, alle grünen Objekte … Hilfreich, gerade für jüngere Kinder, ist die Wahl von nur sechs Farbtönen (schwarz, weiß, rot, gelb, grün, rosa). Doch der Einsatz der Farben bedeutet mehr. Sind die Familienmitglieder nur durch die Hautfarben weiß, rosa und schwarz charakterisiert, so setzt Matoso – wenn Verwandte kommen – alle Farben als Hautfarben ein. „Multicolour“ in der Familie verstärkt somit die Grundidee dieses nicht nur „Zähl“-Bilderbuches, weniger nach Unterschieden und mehr nach Gemeinsamkeiten zu suchen.
(Der Rote Elefant 33, 2015)