Sally Jones ist illegal und sozusagen unter falschem Namen nach Europa, genauer Istanbul, eingereist. Eigentlich hätte sie verzollt werden müssen, wie andere aus Afrika importierte Affen auch. Das aber ist nur der Beginn eines Lebensweges, der das Gorillamädchen durch alle sieben Meere und durch fast alle Kontinente, durch Höhen und Tiefen, in Verzweiflung und Todesgefahr führen wird, bis sich dann doch ein kaum noch zu erwartendes happy end ergibt. Viele der manchmal haarsträubenden Episoden in Sallys Leben sind von anderen Personen beeinflusst, etwa der tierlieben Witwe Schultz, die aber noch andere Namen hat und sehr eigennützige Ziele verfolgt, dem Zauberer und Frauenhelden Magic Silvio oder dem ausgemachten Fiesling Kaspar Meyer. Wie der schon aussieht! Jedenfalls ist am Ende des einen Abenteuers überhaupt noch nicht abzusehen, was beim nächsten passieren wird. Immerhin hat sie schließlich lesen gelernt, kann ein Auto steuern und ein Schiff reparieren. Das bringt schließlich die Wende. Mit dem „Chief“ vom Dampfer „Otago“ schafft sie es, ein eigenes Schiff zu erwerben und damit in den Sonnenuntergang zu schippern. Das Schiff heißt „Hudson Queen“ (Humphrey Bogarts „African Queen“ lässt grüßen)
Das Buch hat zwar auf jeder Seite ein sorgfältig gestaltetes und akribisch gemaltes Bild zu bieten, gleichzeitig aber soviel in die Bilder integrierten Text, dass es auch als ein Kinder-Roman verstanden werden kann. Also schon zum Selbstlesen. Dann führt es die Leser durch Länder und Meere, in Urwälder und Hafenstädte, in Hotels und Spelunken, ein Panorama aller abenteuerlichen Schauplätze des 19. Jh. Geographisch, architektonisch und vor allem atmosphärisch ist Wegelius ebenso genau wie erfinderisch – und ironisch. So wird bei Sallys ersten Diebstahlsübungen eine Banane erbeutet, die aber in der Position, in der sie auftaucht, ebenso der türkische Halbmond sein könnte, wie er Regierungsgebäude und Minarette ziert.
Das Buch ist ebenso eine Geschichte des wissenschaftsgläubigen 19. Jahrhunderts als auch eine der Sklaverei. Es erinnert an die Formen der Sklaverei, in der Afrikaner nach Amerika und in die ganze Welt verschleppt wurden und verweist ebenso auf heute noch andauernde Formen erzwungener und nicht bezahlter Arbeit. Man kann als Leser nicht umhin, mit Sally zu leiden und mit ihr zu hoffen. Zu hoffen, dass die Geschichte nicht tragisch endet, wie King Kongs unglückliche Liebe, sondern positiv, indem die Freundschaft alle Hindernisse überwindet. Und das ist dann nicht mehr nur eine Geschichte für Kinder.
(Der Rote Elefant 27, 2009)