Ein jugendlicher Held, verstört durch den plötzlichen Tod des Vaters, ist hin- und hergerissen zwischen Sohnesliebe und Abscheu gegenüber der Mutter ob deren neuer Ehe. Schwankend auch im Verhältnis zu einer jungen Frau, ringt er mit dem Anspruch an sich selbst, denn er will den Erwartungen der Familie und der Gesellschaft gerecht werden. Erfüllt von Hass und Rachedurst ist er gleichzeitig voller Angst und Unentschlossenheit. Held dieser 400 Jahre alten und doch zeitlosen Geschichte ist Hamlet, Prinz von Dänemark. Dessen Welt steht auf dem Kopf und sein Schicksal wird von Blut getränkt sein, wie man der Titelgestaltung des Bilderbuches bereits entnehmen kann.
Freundet man sich mit dem Trend an, Dramen der Weltliteratur in Prosaform zu „vereinfachen“, so fasst vorliegender Text die Handlung des Shakespeare-Stückes komprimiert in einfachen, geradezu emotionslosen Sätzen zusammen. Als Einstieg oder Wiederauffrischung durchaus geeignet, ersetzt er natürlich nicht die Kraft und Tiefe des Originals, wobei prägnante Zitate als Ergänzung typographisch vom Fließtext abgehoben sind. Dafür ist das Buch ein Augenschmaus und macht angesichts der prachtvollen Illustrationen des russischen Künstlers Andrej Dugin auf ganz eigene Weise Angebote zur Interpretation bzw. bietet Diskussionsanlässe. Die Malerei des elisabethanischen Zeitalters zitierend, findet Dugin, der fast zehn Jahre an den Illustrationen arbeitete, ungewöhnliche Bildkompositionen mit einer Vielzahl von Motiven, die es zu enträtseln gilt. Einige davon werden im Anhang erläutert. Auffallend sind die verstörend ins Bild gesetzten Tiere.
Im Originaltext teilweise benannt, bezieht sich deren Symbolik stets auf die dargestellte Person oder Szene. So steht z. B. ein Wolf in Königin Gertruds Bett und unterstreicht die Situation, in der Hamlet der Mutter klarzumachen versucht, welch „Raubtier“ ihr neuer Gatte, sein Onkel, sei. Doch auch Hamlet handelt hier instinktiv raubtierhaft: Ohne nachzudenken tötet er den an der Wand lauschenden Polonius.
Auf vielen Bildern, auch schon auf dem Buchcover, tauchen verschiedene Mausefallen auf, die lt. Anhang die Fallen symbolisieren, die sich die Figuren im Stück stellen. So steht auch im Mittelpunkt des wohl rätselhaftesten Bildes gigantisch groß auf der Burgmauer von Helsingør schemenhaft ein Mausefallenmodell. Dessen Inneres ist schwer zu entschlüsseln: Ist es der Urknall? Sind es zwei Gehirne, die aufeinander prallen? Passend dazu das bekannte Zitat: „Es gibt mehr im Himmel und auf Erden, als wir uns vorstellen können.“ Eine zeitlos zutreffende Feststellung, die in Dugins Hamlet-Illustrationen beeindruckenden Ausdruck findet.
(Der Rote Elefant 33, 2015)