Morgenmuffel kennt jeder! Prinzessin Bertie ist besonders mufflig, denn sie hat jahrelang in einem Turm geschlafen. Nun will sie ein Schokocroissant. Sofort! Also ab ins Dorf. Aber nichts da mit „sofort“. Vieles will man ihr verkaufen, doch die Prinzessin bleibt unbeirrt. Als sie von den Dorfkindern erfährt, wo es Schokocroissants gibt, verhindert das über Jahre gewachsene Haar wiederum das „Sofort“. Also erst zum Friseur und dann zum Bäcker. Endlich Schokocroissants – für alle! Als dann ein Prinz ankommt, um die schlafende Schöne im Turm zu erwecken, entspricht diese so gar nicht seinen Erwartungen …
Wie schon in Heute bin ich Ritterin oder Puppen sind doch nichts für Jungen! räumt Englebert mit weiblichen Rollenklischees auf. Seine Bertie ist keine „süße“, blonde, auf Erlösung harrende Prinzessin. Zurückhaltung, Statussymbole und Erscheinungsbild sind ihr egal. Bertie ist eine selbstbewusst fordernde Person, die nicht erst an Widerständen wachsen und sich emanzipieren muss. Damit steht sie in bemerkenswertem Gegensatz zu vielen Vorbildern, die zur Zeit Leser*innen offensiv didaktisch suggerieren, wie toll „Rebel Girls“ und „wilde Hühner“ sind. Darüber hinaus unterwandert Englebert mittels humorvoller Verzögerungen – geschlechterübergreifend – kindliche Sofort-Ansprüche.
Engleberts comicartige Zeichnungen warten mit herrlichen Übertreibungen auf, sei es der viel zu kleine Turm, auf dessen Spitze Bertie übellaunig umherschaut, oder ihr ellenlanges Haar, das sich durch das Dorf windet. Die „Kinderspiele“ auf dem Dorfplatz sind ein freies und doch präzises Zitat des gleichnamigen frühneuzeitlichen Gemäldes des Niederländers Pieter Bruegel. Entsprechend der Entstehungszeit des Gemäldes deutet Englebert mit dem Ausgang der ungewöhnlichen Prinz-Prinzessin-Begegnung die Hexenverfolgungen an und nutzt dies zu einem aktuellen Kommentar. Er zeigt, wie schnell eine Stimmung kippen kann, wenn ein Populist seine Unzufriedenheit mit herrschenden Zuständen für sich instrumentalisiert. Auch am erzählten Ort ist die Zeit offenbar noch nicht reif für Freigeister wie Bertie, die auf Macht verzichtet und wie selbstverständlich teilt. So kehrt Bertie vorerst in den Turm zurück, um weiterzuschlafen – jedoch nicht ohne das Versprechen einer Rückkehr!
Vor einer Buchvorstellung könnte (natürlich) an das Dornröschen-Märchen erinnert werden. Was hätte Dornröschen getan, wäre es von selbst aufgewacht? Die Einbeziehung des Bruegel-Gemäldes böte sich ebenso an. Welche Kinderspiele sind heute noch bekannt? Nicht „sofort“, aber am Ende würden Schokocroissants die Beschäftigung mit dem originellen Bilderbuch geschmackvoll abrunden.
(Der Rote Elefant 38, 2020)