Vor- und Nachsatz korrespondieren mit dem Titel des schmalen, überzeugend gestalteten Bilderbuches: Buchstaben in alphabetischer Reihenfolge sind aus orange-roten Fischen zusammengesetzt, bei genauem Hinsehen jedoch bilden gelbe Fische das Wort „Poesie“.
Was haben Fische mit Poesie zu tun? Auf den ersten Blick nichts, auf den zweiten schon, aber diese Erkenntnis gewinnt Kind Arthur erst am Ende des Buches. Noch befürchtet der Junge Goldfisch Leo stirbt an Langeweile. Aber wer sich da langweilt, ist nicht Leo … Arthurs fixe Mutter weiß sofort Rat: Leo braucht ein Gedicht. Und weg ist sie zum Tuba-Kurs … Was aber, fragt sich Arthur, ist ein Gedicht? Da zu Hause niemand ist, der etwas darüber weiß, geht Arthur hinaus in die Welt. Jede(r) Befragte hat eine sehr persönliche Antwort, die sich aus Wünschen, Träumen, Erinnerungen und Sehnsüchten speist.
Weiß Fahrradhändler Manolo, dass ein Gedicht mit „man liebt sich“ zusammenhängt, erinnert die rundliche Bäckerin das wohlige Gefühl von „frischem Brot im Magen“. Am Ende weiß Arthur viel, aber nichts Eindeutiges. Alles Erfahrene jedoch setzt er für Leo zusammen und raus kommt – ein Gedicht …
Der Schweizer Olivier Tallec montiert einen poetischen Bilderreigen in leuchtenden Farben, der Impressionen ins Innerste der Antwortenden erlaubt. Dabei unterscheidet der Illustrator zwischen Realität und Innenwelt. Die realen Begegnungen sind in Text und Bildseite getrennt. Die jeweils darauffolgenden Doppelseiten eröffnen einen phantastischen Blick in die Innenwelt der Befragten:
Während Manolo mit der Geliebten auf dem Fahrrad durch einen blauen Räderhimmel fliegt, träumt die Bäckersfrau von einem schwarz-blau gefärbten Winterabendhimmel mit Croissant-Monden, einem Akkordeonspieler und tanzenden Menschen im Schnee.
Deutlich wird in diesem Text-Bild-Verfahren: Worte lösen Bilder im Kopf des Zuhörenden, z. B. Arthurs oder des Bilderbuchbetrachters, aus. Erzählt wird aber auch davon, dass Poesie für jeden etwas anderes bedeuten kann und dass es dabei kein Richtig und kein Falsch gibt. „Gedicht für einen Goldfisch“ ist ein Plädoyer für Poesie und deshalb hervorragend als Einstieg für jede Art von Lyrik-Veranstaltung zu nutzen. Am Ende könnten dann eigene Assoziationen zur Frage: „Was ist Poesie bzw. was ist ein Gedicht?“ gesammelt und zu einem poetischen Text verdichtet werden, so wie es Arthur am Ende seiner Suche vormacht.
(Der Rote Elefant 28, 2010)