Es gibt eine graue Stadt am Meer, Husum, eine weiße Stadt am Meer, Heiligendamm, und jetzt auch noch einfach die „Stadt am Meer“. Sie befindet sich an der Küste von Neu-Schottland in Kanada. Dort liegen die Kohlenflöze unter dem Meeresboden. Immer denkt der Ich-Erzähler, ein ca. acht Jahre alter Junge, daran, wenn er auf das Meer blickt: „Und tief drunten unter dem Meer gräbt mein Vater nach Kohle.“
Von diesem Grundgegensatz, der offenen Weite des Meeres und der Enge im Bergwerksstollen, lebt die visuelle Gestaltung des Buches. Die Geschichte, in der nicht viel passiert – der Junge spielt mit anderen Kindern, geht einkaufen und besucht einmal das Grab des Großvaters (auch Bergmann!) – wird locker mit breiten Pinselstrichen, Stift und Kohle ins Bild gesetzt, aber auf jede Doppelseite mit einem Meeresbild, mal wellenschäumend, glitzernd in der Sonne oder nebelverhangen, folgt eine Doppelseite „unter Tage“. Am unteren Bildrand sind zwei Bergleute zu sehen mit Spitzhacke und Presslufthammer, darüber – dreiviertel der Fläche einnehmend – dunkel-drohend das „Hangende“, wie der Bergmann sagt. Auf dem letzten dieser Bilder sind die Bergleute geflohen vor herabstürzendem Gestein.
Ein atmosphärisch dichtes, auf ein Thema konzentriertes Bilderbuch, dessen Erzählung laut Autorin in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts spielt. (Merkwürdig: der Vater kommt bedeckt mit Kohlenstaub nach Hause. Gab es damals noch keine Waschkauen in Kanada?)
In dieser Zeit wurde der Bergmannsberuf noch vom Vater auf den Sohn übertragen. Diese Zeit ist dahin. Inzwischen lohnt sich auch in Neu-Schottland der Kohleabbau nicht mehr. So stellt das Buch auch ein Stück Nostalgie über das Leben der Bergmannsfamilien dar. Mit eindrucksvollen Bildern, die sich den Betrachter*innen tief einprägen werden.
(Der Rote Elefant 36, 2018)