Laut Verlagsinterview schöpft Herwig nach „Scherbenhelden“ ein weiteres Mal aus einem Reservoir „heute kaum vorstellbarer Geschichten“ in den „chaotischen Nachwendejahren“ in Leipzig. Titelgebend ist eine zur Hälfte abgeschlagene Stuckarbeit an einem Abbruchhaus – eine Metapher auch für die Hauptfigur: Ich-Erzähler Sascha und dessen drei Freunde seit Kindertagen haben sich in dem Haus ein Refugium geschaffen. Dort saufen und kiffen sie und denken sich immer drastischere Mutproben aus, denen sich abwechselnd einer von ihnen zu stellen hat. Als kurz vor den Sommerferien Marcel neu in Saschas 9. Klasse kommt, führt der ‚Halbstarke‘ diesen ihrem Quartett zu. Doch die Mutprobe, die Marcel als Aufnahmeritual bestehen soll, endet tödlich. Unklar bleibt, ob der etwas „merkwürdig“ gewesene Junge den Bahnunfall gewollt haben könnte.
Obgleich die Geschichte in einem abgelaufenen Zeitabschnitt spielt und den damaligen gesellschaftlichen Umbruch spiegelt, wirkt sie zeitlos und universell. Denn Sascha selbst befindet sich in einer jugendtypischen ‚Umbruchsphase‘. Mittels der Clique hatte er sich stets eine unangreifbare Sonderstellung in Schule und Viertel erobert, die „Leerstelle“ seines tödlich verunglückten Vaters überspielen können und Gedanken an (s)eine berufliche Zukunft verdrängt. Marcels Tod wirft ihn auch körperlich aus der bisherigen Bahn. Kann er gegenüber Polizei und Angehörigen weiterhin Unschuld vortäuschen oder muss er – trotz aller „Freundschaft“ – seinem Gewissen folgen? „Den wirklichen Mut brauchte man immer sich selbst gegenüber“, resümiert er. Halt gibt Sascha im Laufe seines langsamen, nachvollziehbar reflektierten Reifeprozesses die eigene Kleinfamilie. Die Mutter, eine nicht unterzukriegende, Kette rauchende Krankenschwester, steht ihm als Gesprächspartnerin auf Augenhöhe zur Seite. Und der pfiffigen Schulanfänger-Halbschwester ist Sascha selbst ein verlässlicher, sich geradezu rührend kümmernder ‚Zweitvater‘. Eine Stärke Herwigs besteht darin, Haupt- und Nebenfiguren gleichsam verlebendigen zu können. Das gelingt ihm neben der Zeichnung charakteristischer Attribute und Wesenszüge nicht zuletzt durch einen bildlichen und dialogreichen Erzählstil in authentischer, teils szenetypisch schnoddriger (Jugend-)Sprache.
Ein zentraler Begriff, um den der Roman kreist, lautet Vergebung. Er könnte nach der Lektüre das Thema einer von Jugendlichen inszenierten Talkrunde sein. Darin eigene Erfahrungen einzubinden, wäre ausdrücklich erwünscht.