Der kanadische Autor und Illustrator möchte mit Lost Worlds die scheinbare Grenze zwischen realer Geschichte und literarischer Phantasie verwischen. Beide Welten seien in der Entwicklung der Menschheit eng miteinander verwoben. Schon immer ging eine große Faszination von Welten aus, die sich von der Realität der Menschen unterschieden. Mythen und Legenden rankten sich um Fundstücke oder schriftliche Überlieferungen. Die Existenz Trojas wurde so lange in Zweifel gezogen, bis Heinrich Schliemann 1870 an der richtigen Stelle zu graben begann. Oder der griechische Seefahrer Pytheas berichtete von einem bewohnten Land im hohen Norden namens Thule, doch bisher entdeckte kein Forscher dort archäologische Spuren. Stattdessen gab man Nordgrönland den Namen Thule.
Zwei von 24 Beispielen, die in Lost Worlds vorgestellt werden und zeigen, wie sehr diese verlorenen Welten die Menschen prägten. Einerseits lösten sie einen unbändigen Forscherdrang aus, der zur Entdeckung verlorener bzw. unbekannter Welten führte. Andererseits inspirieren sie bis heute Literatur, bildende Kunst, Musik oder seit über 100 Jahren den Film. Neben häufig beschriebene Welten wie den Garten Eden, Babylon, Camelot oder Theben stellt Howe weniger bekannte: Mohenjo-Daro, Hauptstadt der antiken Indus-Kultur, Cibola, die sieben goldenen Städte in Nordamerika, Uluru, Traumweltmittelpunkt der Aborigines oder die Hohlwelt im Inneren der Erde. Jeder Ort wird mit einer eindrucksvollen doppelseitigen Illustration präsentiert. Auf zwei weiteren Seiten geht Howe näher auf die Ursprünge der Legenden ein und berichtet von der Suche nach Beweisen für deren Wirklichkeitsgehalt. Dabei verwendet er sowohl Fotografien von Ruinen und Fundstücken als auch historische Darstellungen. Im Anhang sind über dreißig weitere untergegangene Welten in alphabetischer Reihenfolge aufgelistet, ein Glossar und ein Stichwortverzeichnis runden Lost Worlds ab.
Das Buch bietet einen Überblick, der Realität und Phantasie der Menschen wie in einer Glaskugel (s. Buchcover) verschwimmen lässt. Es ist ein Blick zurück nach vorn, denn in tausend Jahren weiß möglicherweise auch niemand mehr, ob es tatsächlich einmal Städte mit gläsernen Wolkenkratzern gab. Dann könnten die Menschen darüber rätseln, ob Reiche wie Mittelerde, Hogwarts oder Zamonien nur in der Phantasie von Autoren und Lesern oder auch in Wirklichkeit existierten. Die Phantasiewelten moderner Fantasytexte (John Howe illustrierte auch Tolkiens Herr der Ringe) böten einen guten Ausgangspunkt, um in verlorene Welten einzutauchen. Gerade in interkulturellen Gruppen ließe sich Lost Worlds gut nutzen, um Spuren der jeweiligen Kultur zu verfolgen.
(Der Rote Elefant 28, 2010)