„toll / dass es Buchstaben gibt / woraus man ein Wort machen kann / und noch ein Wort / und noch ein Wort … toll / dass es Wörter gibt / woraus man einen Satz machen kann / und noch einen Satz / und noch einen Satz …“
Was man alles mit Buchstaben, Wörtern und Sätzen „machen“ kann, zeigt Joke van Leeuwens neuestes Buch. Dabei verbindet die niederländische Künstlerin auf für sie typische Weise Text und Illustration: Gebäude und Straßenmöbel bestehen in einem Stadtbild vorrangig aus Buchstaben, so dass die farbige Doppelseite als Suchbild funktioniert. Mehrere ironische ABCs besitzen Schauwert. Darunter eins, worin schwarz umrandete, orange gekleidete Turner mit ihren Körpern 26 Buchstaben formen und eins, das letztere in schwarz-weiße Monster verwandelt. Innerhalb der formal verschieden gestalteten Alphabete überzeugt besonders das Foto-ABC. Van Leeuwen entdeckte auf Industriegeländen, in Reithindernissen, an Mauern oder in flatternden Absperrbändern Buchstabenformen, fotografierte diese und ordnete sie alphabetisch. Zur Nachahmung empfohlen!
Für die deutsche Fassung ihrer Visuellen Poesie schuf van Leeuwen gemeinsam mit ihrer langjährigen Übersetzerin Hanni Ehlers neue Wort-Bild-Kombinationen. Das Wort „Hund“ ist graphisch ein Vierbeiner, die Wörter „Blatt“, „Stamm“ und „Vogel“ fügen sich zu einem Baum. Auch die Typografie ist in diesem „schönen Buch“ (Originaltitel) ein Mittel der Erzählung: Rückt das Geschehen näher, vergrößert sich die Schrift, wird „Unendlichkeit“ thematisiert, verkleinert sie sich. Schriftwechsel, Farbentscheidungen bzw. typografische Irritationen motivieren dazu, geheimnisvoll-inhaltliche Verbindungen zu enträtseln. Aber auch das Spiel mit der Sprache selbst gibt manchmal Rätsel auf. So in elf verwirrend-sprachspielerischen Comic-Dialogen von „Gabella und Löffelino“, die z. T. geistreiche Qualität besitzen und mit unerwarteten Pointen aufwarten. Auch einige Geschichten muten philosophisch an, z. B. wenn ein Wolf lieber ein Schaf wäre oder ein Spatz nicht fliegen mag. Das Nachdenken über das Ich und die (Um-)Welt, Sein und Bewusstsein, gipfelt lyrisch in der Erkenntnis: „als ich noch nicht da war / da war das Land schon da / da war der Strand schon da / da war die See schon da …“ Van Leeuwens ABC-Buch bietet altersübergreifend kreative Ansätze: Vom Nachstellen des Alphabets mit dem Körper und dem Entwerfen eigener ABCs bis hin zu lautmalerischen Spielen und philosophischen Diskursen macht es Lust auf das, was mit Buchstaben, Wörtern und Sätzen alles gedacht, erzählt und gestaltet werden kann.
(Der Rote Elefant 35, 2017)