Wenn Erwachsene weinen, sind meist ungeheuerliche Dinge passiert. So auch bei Frederik. Wenige Stunden nachdem er auf der Arbeit eine Anzeige aus einer Zeitung gerissen hat, hockt er schluchzend vor seiner verschlossenen Wohnung. Der Schlüsseldienst hat ihm gerade den Zutritt verweigert und auch die Putzfrau will ihm nicht helfen. Kurz zuvor war er bereits vor der Polizei, dem Büro-Pförtner und einer Frau, die ihn in einen Kinderhort bringen wollte, davongelaufen. Denn seit Frederik die Annonce in seiner Hosentasche versteckte, ist er nur noch so groß wie ein Schulkind. Seine Stimme ist hoch wie die eines Knaben und der Anzug schlackert um seinen geschrumpften Körper. Kein Wunder also, dass niemand mehr den Mann in ihm erkennt.
In Die erstaunliche Geschichte von Frederik erzählt die bekannte niederländische Autorin Joke von Leeuwen von großen Verlusten, emotionalen Verletzungen und Missverständnissen, die geschehen, wenn Menschen nicht miteinander reden (können). Denn die Annonce, die Frederik heimlich mitnahm, zeigt den Tod des einstigen Pflegevaters an und bringt somit sorgsam verdrängte, schmerzhafte Erinnerungen zurück. Denn plötzlich und aus für ihn unerklärlichen Gründen musste der Junge Frederik die geliebte Pflegefamilie wieder verlassen.
Joke van Leeuwen beweist erneut ihre Fähigkeit komplizierte psychische Vorgänge in gleichnishafte Geschichten zu übersetzen. Wie schon in Viegelchen verdeutlicht sie Wünsche und Gefühle ihrer Protagonisten auch in deren äußerer Erscheinung. Waren dort die Flügel des Vogelkinds Symbol eines Freiheitsdrangs, erzählt sie hier von der tiefen Verunsicherung eines Mannes, indem sie ihn zum von seinen Mitmenschen bevormundeten Kind werden lässt. „Erst verwuschelte die Frau ihm die Haare und jetzt wollte sie auch noch seine Hand halten. Er wollte aber immer noch selber bestimmen, wessen Hand er hielt und warum. Und sie sollte auch nicht so fest zudrücken.“ Frederiks Aufbegehren gegen die Entmündigung und die Neuentdeckung der Welt aus der Kindperspektive wechseln sich ab. In diesem Perspektivwechsel, der auch in den für van Leeuwen typischen, comicartigen Illustrationen aufgegriffen ist, zeigen sich die komischen und befreienden Momente in Frederiks Trauer, welche dem ernsten Thema „Verlust“ Leichtigkeit verleihen.
Ein Buch, welches nicht nur bei jungen Lesern Fragen über die Grundlagen eines intakten Ich-Gefühls und darüber, wie schnell dieses ins Wanken geraten kann, aufwirft.
(Der Rote Elefant 34, 2016)