Jostein Gaarder und Akin Düzakin veranstalten ein Experiment mit dem Leser. Nimmt jemand zuerst den Text (links) oder die Bilder (rechts und einige Doppelseiten) wahr? Einen direkten Zusammenhang scheint es auf den ersten Blick nicht zu geben. Oder wie löst es sich auf, dass auf dem Bild ein Hund unter nächtlichem Sternenhimmel auf einer Wiese steht und auf der Textseite die Frage: „Könnten alle Sterne und Planeten da sein, auch wenn niemand von ihnen wusste?“ Wird hier nach dem Denkvermögen der Tiere gefragt oder geht es um das philosophische Problem, ob überhaupt etwas ist, wenn es kein Bewusstsein davon gibt?
Auf den Textseiten geht es also um Fragen nach dem Ich, dem Sein, der Natur, der Welt. Auf den Bildseiten entwickelt sich die Geschichte eines Jungen, der eines Abends mit dem Rucksack auf dem Rücken von zu Hause weggeht, in den Wald, ans Meer, in die Erinnerrung. Denn irgendwann ‒ nicht gleich zu Anfang ‒ taucht ein durchscheinendes Wesen auf, ein Geist, ein Gespenst, die Seele eines Verstorbenen? Die Erinnerungsbilder zeigen z w e i Jungen, die miteinander spielen, einen Zirkus besuchen, am Meer auf einem Seil balancieren. Sind die Gegenstände in der geheimnisvollen Kiste etwa Erinnerungsstücke, die mit dem Verschwinden, dem Tod des einen Kindes zusammenhängen? Jetzt werden die Fragen auf den Textseiten plötzlich konkreter, treten in einen Kontext: „Gibt es Engel? Gibt es Gespenster? Vor welchem Verlust habe ich die allergrößte Angst? Ist das, was geschehen ist, für immer verschwunden?“ Realität und Phantasie, das wirkliche und das erinnerte Geschehen, gehen ineinander über.
Die mattfarbigen Bilder der „realen“ Geschichte unterscheiden sich kaum merklich von den grau-weißen der Erinnerung. Darüber könnte man mit Kindern reden. Lassen sich Wirklichkeit, Erinnerung und Traum klar voneinander trennen? Oder gibt es Grenzen, an denen alles miteinander verschwimmt? Und wie ist es mit der Zukunft, dem Entwurf von Leben? Die letzte Frage lautet: „Was habe ich mit meinem Leben vor?“ Die Bildseite zeigt ein augfeschlagenes Tagebuch, in das jemand zu schreiben beginnt. Nachdenken über sich selbst, das ist wohl die eigentliche Botschaft des Buches. Wer nicht glaubt, dass Kinder so etwas tun wollen, sollte es ausprobieren.
(Der Rote Elefant 31, 2013)