Warum meint man hierzulande Kindern etwas vormachen zu müssen? ‒ Der Originaltitel ist ehrlicher und stimmt ausgesprochen prägnant auf Essenz und Ton des hervorragenden kinderliterarischen Debütromans ein: „Ich heiße Olivia, und das kann ich auch nicht ändern.“ Ganz und gar nicht ändern kann die 11-jährige Protagonistin den durch Krankheit verursachten Tod der Mutter. Danach haben Vater und Tochter Hals über Kopf das Heimatdorf in Friesland verlassen. Nun leben sie gleichsam inkognito-provisorisch in einer fremden Stadt. Als „Wohnung“ dient ihr Segelboot, notdürftig abgestellt im Garten neben dem Friseursalon des Vaters. Dieses Leben soll nur „vorläufig“ sein, aber wie weiter?
In 22 kurzen Kapiteln erzählt Olivia davon, wie die vermeintliche Vorläufigkeit mit „neuen Menschen“ ‒ einem Schulfreund und einer erwachsenen Helferin ‒ allmählich schwindet. Liebevoll und warmherzig erscheint die Beziehung zwischen Vater und Tochter; beide verbringen ritualisiert Zeit miteinander und sorgen füreinander. Allerdings „verarbeiten“ sie den endgültigen Verlust ganz verschieden und in ‚verkehrten Rollen‘: Während der Vater häufig weint, verdrängt Olivia ihre Tränen und versucht mit alltäglichen Anforderungen (Essenszubereitung, Wäsche) sowie psychischen Belastungen (Mobbing in der Schule, erste Periode) allein klar zu kommen. Erinnerungen an die Mutter lassen die tiefe, anhaltende Bindung innerhalb der einstmals vollständigen Familie immer wieder aufleben. Nachvollziehbar wird, warum Olivia nach der letzten gemeinsamen Dusche mit der Mutter ihre Haare nicht mehr wäscht oder deren zuletzt getragenes rotes Kleid als Schatz aufbewahrt. Die Stärke, die das Mädchen tagtäglich aufzubringen versucht, überfordert es, macht es aber auch reifer. Olivias Entwicklung kommt insbesondere in der leicht wehmütigen, doch zugleich durchweg humorvollen sowie von stimmigen, eindrücklichen Metaphern durchwobenen Erzählweise zum Ausdruck: „Die Dinge sind nie so, wie man sie gerne hätte. Wenn du … ein bisschen drüber lachen kannst, dann kann dir nichts mehr passieren.“ Diesen lebensweisen Ratschlag der Großmutter erhält Olli erst, nachdem die „wandernde Urne“ mit der Asche der Mutter sie endlich ‚gefunden‘ hat und das „innere Meer“ in ihr doch noch ausgebrochen ist. ‚Befolgt‘ hatte sie die Worte der Großmutter bis dahin schon …
(Der Rote Elefant 31, 2013)